GbP 4-2016 Franziska Hommes

Die bleibende Bedeutung der sozialen Determinanten von Gesundheit

Von Franziska Hommes

Am 10. Oktober 2016 fand in Berlin die Fachtagung der Deutschen Plattform für Globale Gesundheit mit dem Titel »Krankes System? Perspektiven für eine gerechte Gesundheitspolitik« statt. In zwei Panels zu »Privatisierung und Demokratieverslust« und zu »Ökonomisierung und Arbeitskämpfe« referierten u.a. Anne Jung (medico international), Desmond McNeill (Lancet – University of Oslo Commission on Global Governance for Health), Carsten Becker (ver.di-Betriebsgruppe an der Charité) und Heino Güllemann (Stiftung Umverteilen) und es gelang, den Bogen zu spannen von den globalen Problemen zu denen im deutschen Gesundheitswesen und diese wieder auf die globale Ebene zu heben. Das Abschlussstatement hielt die Medizinstudentin Franziska Hommes. Wir dokumentieren es hier leicht gekürzt.

Sehr verehrte Damen und Herren,

was sind Perspektiven, die wir aus dieser Veranstaltung mit in die eigene Arbeit tragen können? Es wurde gezeigt, dass es neben den schon seit Jahrzehnten bekannten und spätestens seit der Deklaration von Alma-Ata 1978 in den Debatten globaler Gesundheitspolitik fest verankerten sozialen Determinanten der Gesundheit eine weitere wichtige Komponenten gibt: Nämlich die globalen politischen Determinanten der Gesundheit. Diese dürfen auch bei der Umsetzung der Post-2015-Agenda nicht mehr fehlen.

Unbestritten ist, dass auf globaler Ebene für den Gesundheitszustand einer Bevölkerung in erster Linie die Lebensumstände entscheidend sind. Ebenso bedeutsam wie der individuelle Zugang ist aber auch die Ungleichheit in der Verteilung der zur Verfügung stehenden Ressourcen. Das bedeutet, dass in Zeiten der Globalisierung, in denen eine Vielzahl von AkteurInnen auf unterschiedlichen Ebenen das Global Governance System mitbestimmen und in einer weltpolitischen Lage, in der eben jene Ressourcen, Machteinflüsse und Finanzmittel so ungleich verteilt sind, direkte und indirekte Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen bestehen, die auf politische Ursachen zurückgeführt werden können. Daher ist es für alle Akteure, die durch ihr Handeln direkt oder indirekt Einfluss auf die Gesundheit von Menschen nehmen, essentiell, die Auswirkungen des eigenen Handelns – im Sinne eines health in all policies-Ansatz – mit in den Blick zu nehmen.

Es wurde aus Sicht der Gewerkschaften das Ungleichgewicht bei der Finanzierung von Gesundheit auf nationaler Ebene dargestellt und wir haben einen konkreten Einblick in die lokale Situation des Gesundheitspersonals hier an der Charité in Berlin erhalten. Dies zeigt deutlich und eindrücklich, wie soziale und politische Determinanten auf so vielen Ebenen und hier direkt vor Ort wirken – und eben nicht nur im globalen Süden. Der soziale Gradient wirkt sich auch auf Ungleichheit in der Gesundheit zwischen Ländern des globalen Nordens und selbst innerhalb einzelner Länder bis hin zu Stadtvierteln aus.

Die Zusammenhänge zwischen innenpolitischer und globaler Gesundheitspolitik, wurden durch die Darstellung der Migration von Gesundheitsfachkräften konkret. Das Beispiel brain drain zeigt besonders eindrücklich, wie nationale und globale Entscheidungen in der Gesundheitspolitik zusammenhängen, dass Gesundheitspolitik niemals nur in einem separaten nationalen Raum stattfindet und auch, dass Gesundheit zugleich Ursache und Folge von den Lebensumständen der Menschen ist.

Neben den heute bereits gegebenen Antworten und Lösungsansätzen bestehen aber auch weiterhin Fragen, die immer wieder diskutiert und von uns allen gestellt werden müssen. Hierzu gehört auch, in Zukunft erneut die Frage danach aufzugreifen, welchen Einfluss Privatisierung und marktwirtschaftliche Interessen auf nationale Gesundheitssysteme und die globale Gesundheitspolitik haben. Welche Auswirkungen ergeben sich bereits heute und werden wir in Zukunft sehen, wenn Gesundheit mehr als Wachstumsmarkt denn als öffentliches und schützenswertes Gut gesehen und behandelt wird?

Auf dem Weg zu einer Verringerung des sozialen Gradienten ist eine Fokussierung auf die Ärmsten allein nicht ausreichend. Es bedarf vielmehr eines universellen Ansatzes, der die soziale Situation aller Menschen umfasst, der sich aber in Ausmaß und Intensität proportional nach dem Level der Benachteiligung richtet – Michael Marmot nennt dieses Konzept proportionaler Universalismus.(1) 

Wir verfügen also durchaus über viele Perspektiven, Ansätze und Konzepte zur Veränderung der globalen Gesundheitspolitik, um diese gerechter zu gestalten. Ein sinnvoller erster Schritt kann der Einsatz für eine Sensibilisierung auf breiter Ebene darstellen. Dies schließt nicht nur die Politik auf hoher Entscheidungsebene mit ein, sondern erfordert auch partizipatorische Prozesse auf lokaler Ebene. Es gibt zahlreiche starke, beeindruckende und erfolgreiche Gesundheitsinitiativen in aller Welt, die oft aus Graswurzelbewegungen entstanden sind, wie etwa die Treatment Action Campaign. Doch es ist erschreckend und bedauerlich, dass der Ausgangspunkt für solche Initiativen oft erst eine tiefe Krise des Gesundheitssystems sein muss, wie wir es etwa so nah in Griechenland oder auch Spanien in den letzten Jahren gesehen haben.

Ein konkreter Ansatz auf dem Weg zu mehr Aufmerksamkeit und Sensibilisierung für Aspekte globaler Gesundheit ist aus der Sicht von Medizinstudierenden in Deutschland auch die Implementierung elementaren Wissens zu diesem Bereich im medizinischen Curriculum. Auf dem Weg zu einer Denkweise, die Gesundheit, und umso mehr noch globale Gesundheit in ihrer Komplexität zu verstehen versucht, ist es notwendig in der Lehre und Ausbildung von Medizinstudierenden entsprechende Veränderungen zu fördern.(2)
Wie kann es sein, dass bei derart großer Bedeutung der sozialen und politischen Determinanten der Gesundheit auf internationaler Ebene diesen hierzulande im Medizinstudium bisher vielerorts kein geeigneter Raum zugestanden wird? Wie soll ein health in all policies Ansatz tatsächlich real werden, wenn nicht in der Lehre und Ausbildung zukünftiger Gesundheitsakteure Basiswissen über Public- und Global Health vermittelt wird – und zwar verpflichtend für alle Studierende, nicht nur für spezifisch Interessierte? Es sollte eine institutionelle Basis für Strukturen im Bereich Globaler Gesundheit geschaffen werden, die bislang oft Großteils allein auf dem freiwilligen Engagement von Studierenden und Lehrenden beruhen. Gerade weil nicht-medizinische aber gesundheitsrelevante Fachdisziplinen in der medizinischen Lehre bisher meist vernachlässigt werden und oft eine biomedizinische fokussierte Lehre den Blick auf gesellschaftliche oder sozialmedizinische Zusammenhänge verstellt, ist es essentiell, dass während des Medizinstudiums die Möglichkeit für eine Öffnung dieses Blickwinkels und die Einnahme verschiedener Perspektiven gegeben wird. 
Nur so können Mediziner und Medizinerinnen auch zu Multiplikatoren von Ideen globaler Gesundheit werden. Auf diese Weise sollte auch dazu beigetragen werden, bestehende Gräben zwischen Biomedizin und Sozialmedizin zu überwinden, deren Überwindung auf dem Weg zu einer gemeinsamen Gesundheitsstrategie absolut notwendig ist. Konkur­rierende Strategien sind hierbei nicht zielführend, der Fokus sollte vielmehr auf komplementären Ansätzen liegen, so dass biomedizinische und sozialmedizinische Praxis und Forschung sich inhaltlich und methodisch bestmöglich ergänzen.

Ein obligates und wertvolles Charakteristikum von Global Health ist die Interdisziplinarität. In aktuellen Debatten um die Rolle und Ausgestaltung von Public- und Global Health in Deutschland sollte es daher nie zu einer Abwertung notwendiger Fachdisziplinen kommen, die ihren relevanten Beitrag zu Globaler Gesundheit leisten können. Dies bedeutet aber auch, dass sich die einzelnen Disziplinen und die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen immer wieder kritisch auf ihre Auswirkungen und die Bedeutung für die Gesundheit der Bevölkerung hin überprüfen müssen.

Hierbei sei noch ergänzt, dass Strate­gien die alleine darauf ausgerichtet sind die Resilienz von Individuen zu erhöhen oder eine Stärkung von Gesundheitssystemen zu erreichen, ohne dabei gleichzeitig die krankmachenden Ursachen zu hinterfragen und zu verändern, langfristig nicht zielführend sein können. Letztlich ist ein zweiseitiger Ansatz notwendig: Einerseits die Berücksichtigung von Aspekten Globaler Gesundheit in der Biomedizin, aber auch die allgemeine Stärkung von Public- und Global Health in der Wissenschaft, Politik und Selbstverwaltung.

Grundlegend für jeden Public- und Global Health-Ansatz muss allgemein das Ziel sein, allen Menschen einen Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, bestehend aus protektiven, promotiven, präventiven, kurativen ebenso wie rehabilitativen Komponenten. Wir dürfen auf globaler Ebene den gegenwärtigen Zustand nicht akzeptieren, dass jährlich mehr als 100 Millionen Menschen aufgrund von privaten Gesundheitskosten in Armut gestürzt werden. Aus meiner eigenen Perspektive kann ich festhalten, dass GesundheitsarbeiterInnen auf verschiedensten Ebenen eine große Verantwortung tragen, weil sie oft eine starke Stimme in der Gesellschaft haben. Sie stehen aber genau deshalb in der ethischen Verpflichtung bei und durch ihren Beitrag zum Gesundheitssystem auch die sozialen Ursachen von Krankheit in den Blick zu nehmen.

Soziale Ungleichheit ist keine natürliche Gegebenheit, sie stellt einen unfairen und vermeidbaren Zustand dar, dessen Änderung eine rechtliche Verpflichtung bedeutet und unumgänglich ist auf dem Weg zu einer gerechteren globalen Gesundheitspolitik.

Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Franziska Hommes studiert Medizin und ist Mitglied der Globalisation and Health Initiative (GandHI) der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmd) sowie der Deutschen Plattform Globale Gesundheit (DPGG) und des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää)

Die Dokumentation der ganzen Veranstaltung finden Sie auf der Homepage der Plattform

Anmerkungen

  1. The Marmot Review (2010): »Fair Society, Healthy Lives, strategic review of health inequalities in England post-2010«, S. 9, in: www.ucl.ac.uk/marmotreview
  2. CSDH (2008): »Closing the gap in a generation: health equity through action on the social determinants of health. Final Report of the Commission on Social Determinants of Health«, Geneva, World Health Organization

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Kämpfe im Gesundheitswesen, 4/2016)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Gesundheit braucht Politik wird vom ärztlichen Berufsverband vdää herausgegeben, der sich als Alternative zu standespolitisch wirkenden Ärzteverbänden versteht.

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