GbP 1-2017 Heidrun Nitschke

Mein langer Marsch durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst

Ein persönlich-politischer Rückblick

Assoziation 1

Vor einigen Wochen, mit Ende meines offiziellen Berufslebens, habe ich mich von einer papierlosen Patientin verabschiedet. Ich habe sie in der Sprechstunde im Kölner Gesundheitsamt mehr als 15 Jahre als Gynäkologin betreut, wir sind gemeinsam alt geworden. In all den Jahren sind ihre Strategien, ihren Status zu legalisieren, erfolglos geblieben. Sie ist immer noch misstrauisch gegenüber Institutionen, und noch immer kann sie sich nicht vorstellen, dass die »Klinik am Neumarkt« in Köln (das Gesundheitsamt) eine staatliche Behörde ist.

Assoziation 2

Im Eingangsbereich des Kölner Gesundheitsamtes wurde ein Jahr, nachdem ich dort meine Arbeit anfing, eine Tafel angebracht, die darauf hinweist, dass das Gebäude zuvor ein Kaufhaus im Besitz einer jüdischen Familie war und dass von dort aus später das Euthanasieprogramm in Köln organisiert wurde(1). Die Tafel wurde ausschließlich aus Spenden der MitarbeiterInnen des Gesundheitsamtes finanziert.

Wie lassen sich Medizinstudium und späteres Dasein als Ärztin mit dem »richtigen Leben im Falschen« vereinbaren? »Dem Volke dienen« als gute Ärztin und die wichtigen Fragen der Politik den Kadern überlassen? Oder als Berufsrevolutionärin die Medizin ganz aufgeben wie der Che? Die Beschäftigung mit den durch den Faschismus verschütteten Alternativen in der Gesundheitspolitik der Weimarer Zeit und der Blick nach draußen verhießen für mich als junge Ärztin Antworten, die auch heute noch spannend sind(2).

Sozialistische Stadtärztinnen wie Käthe Frankenthal(3) in Berlin hatten im Zugang zu Sexualberatung, Empfängnisverhütung, Behandlung von Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaftsabbruch eine zentrale Aufgabe der kommunalen Gesundheitsvorsorge gesehen und durchgesetzt, dass Frauen unentgeltlich Beratung und präventive Mittel zur Geburtenregelung erhielten. Jedoch hatten auch radikal-linke Sozialhygieniker und Sexualreformer wie Max Hodann(4) erschreckende Nähe zu eugenischen Theo­rien. Und verwirrenden Ambivalenzen hinsichtlich der Frage, was »Volksgesundheit« als »salud popular« ist, begegnete ich später auch in den revolutionären Gruppen außerhalb Deutschlands: auf der einen Seite die nach Lateinamerika emigrierte ältere jüdische Ärztin, die mit den revolutionären Gruppen im Untergrund zusammenarbeitete und den jungen Mädchen und Frauen auf dem Land hochdosierte Antibabypillen gab, ohne dass diese die Wirkung kannten, »weil sie sonst zu früh und zu viele Kinder bekommen«. Auf der anderen Seite führte ich als »westliche Feministin« heftige Diskussionen mit den revolutionären Ärzten in den Stadtteilambulanzen, die nicht in Verdacht kommen wollten, mit den Geburtenkontrollprogrammen von USAID(5) zu sympathisieren und deswegen die Not der verzweifelten ungewollt schwangeren Frauen ignorierten. Und die chinesischen BarfußmedizinerInnen boten nicht nur arbeitsplatznahe Gesundheitsversorgung in den Betrieben und Dörfern, sondern waren auch wichtige Instrumente zur Durchsetzung der Ein-Kind-Politik.

Dennoch bezog sich Anfang der 70er Jahre die Bewegung zur Abschaffung des §218 erneut auch auf die gesundheitspolitischen Forderungen der Weimarer Republik. Es war dann aber nicht der ÖGD, sondern pro familia mit ihren Familienplanungszentren, die diese Errungenschaften in die Praxis umsetzte. Dass auch pro familia keine unschuldige Vergangenheit zwischen Sexualreform und Eugenik hatte(6) und in der Gegenwart unternehmerisch denkt und handeln musste, war eine weitere schmerzhafte Erkenntnis.

Was also tun mit der theoretischen und praktischen Abneigung dagegen, als niedergelassene Gynäkologin auch Unternehmerin zu werden? So begann 1990 mein langer Marsch durch den öffentlichen Gesundheitsdienst als Leiterin der Untersuchungs- und Beratungsstelle für Geschlechtskrankheiten in Frankfurt (kurz: GK-Stelle). Einige Jahre zuvor hatte ich in einer anderen Großstadt in einer solchen bereits einmal hospitiert und war erschreckt über den demütigenden Umgang mit den Klientinnen und die schlechte Medizin dort wieder davongelaufen. Jetzt schienen die Bedingungen günstiger: In Hessen gab es ab 1991 eine rot-grüne Landesregierung und in Frankfurt seit 1989 in einem rot-grünen Magistrat nicht nur ein Frauen- und Drogenreferat, sondern auch das bundesweit erste Amt für multikulturelle Angelegenheiten.

Aktuelle fachliche Vorbilder für das, was wir heute als »Fachdienste für sexuelle und reproduktive Gesundheit« bezeichnen, gab es zwar nur in internationalen Zusammenhängen. Akademische Studiengänge für Public Health entstanden in Deutschland erst 1989 bis 1995.

In fast allen Gesundheitsämtern waren aber seit Ende der 80er Jahre als Modellprojekte AIDS-Beratungsstellen eingerichtet worden, mit ungeahnt großzügiger personeller und finanzieller Ausstattung. Hier waren viele kreative und mutige Menschen versammelt, sie boten anonym und kostenlos Beratung und Testung an, allerdings ausschließlich auf HIV. Und schnell wurde deutlich, dass sie kaum Bündnispartner sein würden, um an die breiten Traditionen der Weimarer Sexualberatungsstellen anzuknüpfen. Kaum einer von ihnen sah sich als Teil eines insgesamt zu verändernden ÖGD – zu besonders und zu aufgeladen war die öffentliche, nicht nur gesundheitspolitische Debatte um das Thema AIDS. Um zu verhindern, dass repressive seuchenhygienische Strategien den Umgang mit der HIV-Infektion bestimmten, war der neue Erreger auch in keines der bis 2001 noch geltenden Gesetze aufgenommen worden, weder in das Bundesseuchengesetz noch in das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (kurz GK-Gesetz).

All dies hat bewirkt, dass erst seit etwa zehn Jahren im ÖGD die Erfahrungen aus dem Umgang mit HIV auch auf den Umgang mit anderen sexuell übertragbaren Infektionen, mit Sexarbeit und sexueller Gesundheit insgesamt angewendet werden. Und dabei sind wir von einer kritischen Wertschätzung der Weimarer Zeit und der Errungenschaften feministischer Gynäkologiekritik noch weit entfernt.

Zurück zur Situation vor 25 Jahren: In der GK-Stelle in Frankfurt stieß ich als erstes auf Tausende von Akten, die über Sexarbeiterinnen und andere »HWG-Personen« (Personen mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr) geführt wurden, einige trugen noch einen großen roten Stempel »Jüdin« auf dem Deckblatt. Es waren fast ausschließlich Frauen (Sexarbeit von Männern für Männer fand keine Beachtung), von denen vermutet wurde, dass sie »der Prostitution nachgingen« und die per Verwaltungsakt verpflichtet wurden, sich wöchentlich einer Abstrichuntersuchung zu unterziehen und einen Nachweis darüber dem Gesundheitsamt vorzulegen, den sogenannten »Bockschein«. Taten sie dies nicht, drohten Bußgelder. Noch wenige Jahre zuvor waren Vorführungen durch Polizei oder Ordnungsbehörde zur Zwangsuntersuchung die Regel. Eine Blutuntersuchung auf Syphilis musste alle vier Wochen nachgewiesen werden.
Ein ebenso reger wie unkontrollierter Datenaustausch zwischen Bordellbetreibern, Ordnungsamt, Polizei, Gesundheitsamt und einigen einschlägig bekannten Arztpraxen in der Frankfurter Innenstadt (die durch die gegen Barzahlung durchgeführten Pflichtuntersuchungen eine beachtliche Einnahmequelle zusätzlich zu ihrem Kassenarztsitz hatten) sicherte die Überwachung. Und abgesehen von der Prostituiertenselbsthilfe Huren wehren sich gemeinsam e.V. protestierte auch niemand dagegen, dass die nach dem GK-Gesetz gesammelten Daten dazu genutzt wurden, die Sexarbeiterinnen zusätzlich zu einer regelmäßigen amtlichen Untersuchung auf HIV zu verpflichten. Und all das war keine Frankfurter Spezialität, sondern – teilweise mit noch weit rigiderer Praxis und bis in die ersten Jahre des neuen Jahrtausends – in ganz Deutschland verbreitet. Nur Hamburg und Berlin-Charlottenburg führten keine Pflichtuntersuchungen mehr durch, ohne dies jedoch laut zu propagieren.

Vor dem Aufbau einer Ambulanz in Weimarer Tradition stand also erst einmal die Herausforderung, die Praxis der Bockscheine zu Fall zu bringen. In Frankfurt brauchte es das Frauenreferat als Bündnispartner, um mit einem juristischen Gutachten die Rechtswidrigkeit und Untauglichkeit der Untersuchungspflicht zu belegen und sie 1991 offiziell abzuschaffen.

Auch als 1992 die Bund-Länderkommission eingesetzt wurde, um ein neues Gesetz für Infektionsschutz zu erarbeiten, funktionierte die politische Netzwerkarbeit. Als Vertreterin der rot-grünen hessischen Landesregierung konnte ich meine Erfahrungen und Forderungen aus der Sprechstunde in Frankfurt einbringen, die inzwischen zu einer Ambulanz für papierlose und andere nicht-krankenversicherte Frauen (und zunehmend auch einzelne Männer) geworden war, Menschen, die keinen Zugang zum System der Regelversorgung hatten. Vor allem der §19 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)87, das dann 2001 endlich in Kraft trat, stand für die neue Strategie: Der öffentliche Gesundheitsdienst soll bei sexuell übertragbaren Infektionen Beratung, Untersuchung und sogar Behandlung sicherstellen, anonym und falls nötig auch durch eigene Dienste und auf öffentliche Kosten.

Zurück zu den Anfängen: Für die Medizin existierten in Frankfurt immerhin Räume und eine Ausstattung, mit der nicht nur eine an den internationalen Standards orientierte Infektionsdiagnostik möglich war, sondern mit der ich auch gynäkologische Untersuchungen durchführen konnte. Dies war keinesfalls selbstverständlich: In GK-Stellen manch anderer Gesundheitsämter gab es dagegen noch Jahre später weder Waschbecken in den Untersuchungsräumen noch Hygienepläne oder eine Kontrolle der Instrumenten­sterilisation. Der Auftrag hieß ja auch, lediglich Prostituierte als mögliche Infektionsquellen zu identifizieren, »normale« Standards für medizinische Versorgung schienen hier nicht zu gelten.

Dass kaum eine der Frauen krankenversichert war und sie weder bei Erkrankungen noch bei einer Schwangerschaft, geschweige denn zur Krebsfrüherkennung eine reguläre Praxis aufsuchen konnten, merkte ich allerdings sehr schnell. Für Antibiotika und Antibabypillen existierten graue Bezugsquellen auch ohne Verschreibung, mit oft gefährlichen Folgen.

Ärzte des ÖGD durften jedoch bis zum Inkrafttreten des IfSG nicht behandeln, lediglich bei »Gefahr im Verzug« durfte ich Medikamente zur Sofortbehandlung verabreichen. Sehr schnell definierte ich dies so, dass ich einfach anfing, auch Privatrezepte für Antibiotika bei aufsteigenden Genitalinfektionen auszustellen, und irgendwann fragten die Patientinnen auch nach Rezepten für Verhütungsmittel (und bekamen sie auch…).

Auch anderes musste unter dem Primat der Beschränkung auf die Infektionskontrolle gegen Widerstände von allen Seiten durchgesetzt werden: die Blutdruckmessung und Frage nach der letzten Monatsblutung, Tastuntersuchung, Schwangerschaftstest, Kolposkopie und Ultraschall. Die für die Frauen vielleicht wichtigste medizinische Errungenschaft war die Früherkennung des Zervixkarzinoms als Routineangebot. Jahrelang lief die Befundung der Abstriche als Wissenschaft, faktisch war es ein unentgeltlicher Freundschaftsdienst von Kolleginnen in erstklassigen Instituten, die einerseits die Abstriche interessant fanden, andererseits den fehlenden Zugang der papierlosen und nicht-krankenversicherten Frauen zur Früherkennung skandalös fanden. Die Ergebnisse waren eindeutig: Inzwischen ist die Zytologie selbstverständlicher Teil des Laborbudgets – zumindest in Köln, wo ich seit Mitte der 90er Jahre im Gesundheitsamt arbeite.
Vor allem in den migrantischen Szenen sprach sich das alles schnell herum. In Städten, wo vergleichbare Angebote bestehen, kommen schon lange nicht mehr nur Sexarbeiterinnen in die Sprechstunde, sondern auch andere papierlose und nicht-versicherte Frauen und Männer mit vielfältigen gesundheitlichen Anliegen, die fachlich und organisatorisch die Möglichkeiten des ÖGD oft überschreiten.

Von den Gesetzen her ist aber auch hier noch »Luft nach oben«: Der §4 des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst in Nordrhein-Westfalen und entsprechende andere Ländergesetze, die ab 2005 in den einzelnen Bundesländern endlich das bis dahin noch geltende Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens aus dem Jahr 1934 ablösten, nahmen diese Ansätze auf und erweiterten sie auf andere gesundheitliche Problemlagen(8).
Sie bieten durchaus eine gesetzliche Grundlage für weitergehende Angebote der Gesundheitsämter wie Schwangerenbetreuung, kinderärztliche oder so genannte »humanitäre Sprechstunden«. Grenzen setzen hier nicht nur die Politik und städtische Haushalte, sondern auch Scheren in den eigenen Köpfen. Es gehört aber gar nicht so viel Mut dazu, den ÖGD zu nutzen, um Zugangsgerechtigkeit herzustellen »nur« zähe Überzeugungsarbeit. Und natürlich muss immer mitgedacht werden, welche politische Signalwirkung von öffentlich finanzierten Parallelstrukturen ausgeht. Öffentliche Angebote sind ein wichtiger Schritt, diese Themen in die Normalität zu holen und sich nicht auf politisch engagierten MediNetzen oder mildtätigen Einrichtungen auszuruhen. Allerdings dürfen sie nicht zur Folge haben, dass sich das Regelsystem darauf verlässt und sich für bestimmte (anstrengende) Gruppen und Themen nicht mehr zuständig sieht.
Und heute, kurz vor dem Abschied aus dem Beruf?

Es gibt in vielen Gesundheitsämtern richtig gute Medizin, Sozial- und Gesundheitsberatung, die niedrigschwellig an diese primäre medizinische Versorgung andockt, multiprofessionelle und vielsprachige Teams, in den Großstädten oft Räume und Ausstattung wie in einer guten Praxis und an Leitlinien orientiertes Qualitätsmanagement, um das uns sogar Kolleginnen und Kollegen aus Kliniken beneiden.

Es gibt Alltag, wie die papierlose Frau aus Westafrika, die wegen ihres Kinderwunsches in die Sprechstunde kommt. Sie erhält nicht nur eine Beratung und Infektionsdiagnostik, sondern auch ein Screening auf Zervixkarzinom und erfährt von der afrikanischen Frauengruppe, die seit Jahren jeden Montag in der Küche des Gesundheitsamtes gemeinsam kocht und Gesundheitsthemen bespricht. Einige Wochen später begleitet sie eine andere papierlose Frau in die Sprechstunde, die sie in der Gruppe kennengelernt hat, und die jetzt ihre vor einem Jahr behandelte TB kontrollieren lassen möchte.
Es gibt auch Spektakuläres: Die ältere papierlose Frau aus Osteuropa, die »nur gelegentlich ein klein wenig blutet«, aber wegen eines weit fortgeschrittenen stark blutenden Muttermundkrebses direkt in ein Krankenhaus geschickt werden muss, kann in Zusammenwirken mit einer NGO rasch legalisiert werden, wird mehrfach operiert und bestrahlt und schickt nach fünf Jahren eine Weihnachtskarte.

Es gibt aber auch ein neues so genanntes »Prostituiertenschutzgesetz«, das dieses Jahr im Juli in Kraft treten wird und eine Anmeldepflicht für Frauen und Männer in der Sexarbeit vorsieht. Den Gesundheitsämtern wird dabei auf jeden Fall die Verantwortung zufallen, eine Pflichtgesundheitsberatung durchzuführen als Voraussetzung für die Anmeldung. Die Amtsleiterinnen und Amtsleiter fast aller großen Gesundheitsämter haben mehrere Stellungnahmen gegen das Gesetz veröffentlicht, ein Novum in der Geschichte des ÖGD.(9) Wie ich sind viele Kolleginnen und Kollegen auf zahllosen Veranstaltungen und Anhörungen aufgetreten, mit politischer Rückendeckung ihrer Vorgesetzten. Durchgesetzt hat das Gesetz eine Allianz von rechten Moralschützern bis zu radikalen Feministinnen, die überzeugt ist, vor allem Frauen ließen sich durch eine solche Anmeldung und Zwangsberatung davon abhalten, in der Sexarbeit tätig zu werden.
Zwangsberatung als Maßnahme individueller Gesundheitsförderung als neue Aufgabe des ÖGD? Nachdem das Gesetz gegen alle fachlichen Argumente verabschiedet wurde, wird der Widerstand immer dünner, weil zunehmend die Hoffnung auf ein paar zusätzliche Stellen oder Stunden blind macht – oft auch altgediente Fachkräfte der AIDS-Prävention. Ein Blick zurück in die Geschichte wäre angebracht.

Fazit am Ende von mehr als 25 Jahren im ÖGD

Es war genau das, was ich mir 1969 vorgestellt habe: Menschen ärztlich versorgen, denen das vorhandene System nicht zugänglich ist, aber nicht als mildtätige Handlung, sondern als öffentliche Leistung. Sich mit dem Wissen um die historischen Lasten den Ambivalenzen der Gegenwart stellen. Langer Marsch durch den ÖGD als immer wieder neuer schlitzohrig subversiver Kampf um Spielräume und Projekte, die schließlich institutionell und gesetzlich abgesichert werden müssen, um dauerhaft wirksam zu bleiben. Hier war und ist im ÖGD immer noch und trotz allem viel mehr möglich, als der Blick von außen sich vorstellen kann.

Heidrun Nitschke arbeitet als Gynäkologin seit mehr als 25 Jahren im öffentlichen Gesundheitsdienst.

Anmerkungen

1 Dazu: Schriftenreihe des Gesundheitsamtes der Stadt Köln, Band 8, Köln 1997
2 Vgl. diverse Publikationen zu den Ergebnissen des Sonderforschungsbereiches der Universität Bremen aus den 70er und 80er Jahren; Udo Schagen und Sabine Schleiermacher: »100 Jahre Geschichte der Sozialhygiene, Sozialmedizin und Public Health in Deutschland. Dokumentation der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP)«, Berlin 2005
3 Käthe Frankenthal wurde 1933 entlassen, emigrierte über mehrere Stationen schließlich in die USA, wo sie eine psychoanalytische Praxis führte und 1976 starb.
4 Max Hodann war Sexualreformer, Mitarbeiter am Institut für Sexualwissenschaft, Stadtarzt und Leiter des Gesundheitsamtes in Berlin-Reinickendorf, Militärarzt der Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg.
5 Der Film »Yawar Mallku« (Das Blut des Kondors) war jahrelang wichtigste Referenz dazu. Aktuell zählen Bolivien und mehr noch Nicaragua zu den Ländern mit einer extrem rigiden Strafgesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch.
6 Erst in den 80er Jahren setzte sich die pro familia mit der Rolle von Hans Harmsen auseinander, Gründungsmitglied der IPPF und der pro familia. Harmsen hatte während des Faschismus die Mitwirkung der Diakonie an dem »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« organisiert, das die Zwangssterilisation behinderter Menschen vorsah. Seine Einstellung zur Eugenik behielt er auch nach dem Krieg, in der Reorganisation der Amtsarztausbildung und der Reetablierung der Bevölkerungswissenschaft in der BRD.
7 §19 IfSG: »Das Gesundheitsamt bietet bezüglich sexuell übertragbarer Krankheiten und Tuberkulose Beratung und Untersuchung an oder stellt diese in Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Einrichtungen sicher. Diese (…) können im Einzelfall die ambulante Behandlung durch einen Arzt des Gesundheitsamtes umfassen, soweit dies zur Verhinderung der Weiterverbreitung der sexuell übertragbaren Krankheiten und der Tuberkulose erforderlich ist. Die Angebote können bezüglich sexuell übertragbarer Krankheiten anonym in Anspruch genommen werden (…). Die Kosten der Untersuchung und Behandlung werden getragen – aus öffentlichen Mitteln, falls die Person die Kosten der Untersuchung oder Behandlung nicht selbst tragen kann. Des Nachweises des Unvermögens bedarf es nicht, wenn dieses offensichtlich ist oder die Gefahr besteht, dass die Inanspruchnahme anderer Zahlungspflichtiger die Durchführung der Untersuchung oder Behandlung erschweren würde.«
8 § 4 Allgemeine Grundsätze der Leistungserbringung im Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen: (1) Soweit und solange die medizinisch-soziale Versorgung erforderlich, jedoch nicht oder nicht rechtzeitig gewährleistet ist, kann sie die untere Gesundheitsbehörde im Benehmen mit primär zuständigen Handlungsträgern im Rahmen eigener Dienste und Einrichtungen erbringen. Dies gilt insbesondere, wenn Personen wegen ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes oder aufgrund sozialer Umstände besonderer gesundheitlicher Fürsorge bedürfen und diesem Bedarf nicht im Rahmen der üblichen Einrichtungen der gesundheitlichen Versorgung entsprochen wird.
9 Siehe http://bvoegd.de/prostituiertenschutzgesetz, http://bvoegd.de/vereinbarungen-der-koalitionsfraktionen-zum-prostituiertenschutzgesetz, http://bvoegd.de/pflichtuntersuchung-sti-prostituierte, http://bvoegd.de/wp-content/uploads/2015/08/150410_Positionspapier_Prostitution.pdf

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Vom ÖGD zu New Public Health, 1/2017)


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