GbP 3-2017 Editorial

Global Health

Die Teilnahme an sozialen Systemen ist essentiell für die Entwicklung von gesellschaftlichem Zusammenhalt. Es ist daher gefährlich, die Gestaltung von Gesundheitsversorgungssystemen der marktwirtschaftlichen Logik zu überlassen, die den Solidaritätsgedanken nicht kennt und eine Spaltung der Gesellschaft somit vorantreibt. Genau dies passiert jedoch sowohl auf nationalstaatlicher Ebene wie auch international.

Allerdings ist die Lage auf der internationalen Bühne prekärer, da auf dieser Ebene verschiedenste, zunehmend nicht-staatliche, private Akteure ohne supranationale Aufsicht agieren und sich den globalen Gesundheitsmarkt aufteilen. Andreas Wulf beleuchtet diese Problematik in seinem Beitrag zur aktuellen Entwicklung der WHO. Er kritisiert den Rückzug der Mitgliedstaaten aus der Finanzierung der Organisation, die dadurch droht, zum Dienstleister für die partikularen Interessen der zahlenden, privaten Organisationen zu werden. Er warnt vor der Verflechtung der globalen Gesundheitspolitik mit der Wirtschaftspolitik, da diese zur Selektion gesundheitspolitischer Themen nach der kapitalistischen Logik führe und fordert die Rückkehr der WHO zum »menschenrechtlichen Kerngeschäft«.

Thomas Kunkel widmet sich der größten Geber-Organsiation der WHO, der Bill-and-Melinda-Gates-Foundation. Er kritisiert unter anderem die Herkunft der finanziellen Mittel, die »wenn überhaupt bekannt» die Glaubwürdigkeit der Stiftung zutiefst infrage stellt. Darüber hinaus verweist er auf die Verflechtungen mit der Pharma- und Lebensmittelindustrie. Unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe, bediene die Organisation sich derselben Werkzeuge, reproduziere dieselben Missstände und verfolge dieselben Ziele, wie der Kapitalismus, der diese Form der Hilfe erst notwendig gemacht hat.

Unbestreitbar besteht ein dringender Bedarf an einer internationalen Lösung globaler Gesundheitsprobleme. Die globale Verbreitung multiresistenter Keime oder anderer Krankheitserreger wie dem Ebola-Virus, machen eine koordinierte Zusammenarbeit der internationalen Akteure im Gesundheitswesen unverzichtbar. Thomas Gebauer stellt in seinem Beitrag fest, dass dieser Bedarf zwar erkannt wurde – zuletzt auf dem G20-Gipfel, der sich die Themen der Antibiotika-Resistenzen und »One Health« auf die Tagesordnung gesetzt hat. Allerdings manifestiere diese Form der Zusammenarbeit globale Ungleichheiten, da hier im kolonialistisch anmutenden Habitus wenige wirtschaftsstarke Länder über viele »ärmere« Länder entscheiden. Die Ursachen von global auftretenden Problemen in der Gesundheitsversorgung würden darüber hinaus gar nicht thematisiert, weil sie teilweise aus der imperialistischen Wirtschaftspolitik derjenigen Länder resultieren, die nun darüber beraten, wie man die Folgen dieser Politik besser verwalten könne. Gebauer fordert daher eine nachhaltige, solidarisch finanzierte nationale und internationale Gesundheitspolitik, die auch die sozialen Determinanten von Gesundheit vor Ort in den Blick nimmt. Der Marktlogik bewusst entzogen haben sich die Ärzte ohne Grenzen. Ihre Ablehnung der Großspende an Impfdosen durch die Herstellerfirma Pfizer begründen sie mit den »Bedingungen und Fallstricken«, die mit einer solchen Spende einhergingen. Diese werden sowohl für die Empfängerregionen (Entstehung von Abhängigkeiten von willkürlichen Entscheidungen der Herstellerfirmen; Begründungsvorwand, um den Zugang in anderen Bedarfsregionen noch zu erschweren) sowie den gesamten Pharma-Markt (fehlende Innovationsanreize bei scheinbarer Bedarfsdeckung, sinkende Bereitschaft der Entwicklung langfristiger Lösungen, bspw. durch die dauerhafte Senkung der Marktpreise) problematisiert.

Jens Holst und Christian Wagner widmen sich in ihrem Beitrag der Problematik der weltweit zunehmenden Antibiotika- Resistenzen. Dabei bemängeln sie die Fokussierung auf medizinisch-technologische Lösungsansätze, weil hierdurch agrarwirtschaftliche Produktionsbedingungen als Verursacher solcher Resistenzen aus dem Blick gerieten. Auch hier mangelt es also an der aufrichtigen und umfassenden Auseinandersetzung mit den Ursachen dieser Entwicklung.

Als Beispiel für ein global agierendes Netzwerk, das sich für eine solidarische Gesundheitsversorgung und die Verbesserung der sozialen Determinanten von Gesundheit einsetzt, stellt Felix Ahls in seinem Artikel das People‘s Health Movement vor und berichtet vom letzten Treffen des PHM in Istanbul. Das PHM kritisiert ebenfalls die Neoliberalisierung der Gesundheitssysteme – sie beleuchten in diesem Zusammenhang aber gezielt die Bedeutung von der nationalstaatlichen Gestaltung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung als migrationspolitisches Steuerungsinstrument. Ebenfalls vorgestellt werden die Academics for Peace, die die immer dramatischer werdenden Repressionen von Wissenschaftler*innen und Angehörigen von Gesundheitsprofessionen in der Türkei öffentlich kritisieren.

Die Rolle von Ärzt*innen in der Umsetzung migrationspolitischer Abwehrmechanismen im Gesundheitssystem thematisiert der Beitrag »Ärzte als Grenzschützer«. Der Abdruck dieses Beitrages war in der Redaktion umstritten. Den Abschluss der Zeitschrift bilden die Artikel von Andreas Pernice und Paul Brettel, die mit dem »vdää on tour« in diesem Jahr die Gedenkstätte Hadamar besucht haben. Andreas Pernice berichtet sehr eindrucksvoll von der Entstehungsgeschichte der Vernichtungsanstalt und der dortigen Erinnerungskultur. Der Fokus bei Brettel liegt dagegen auf dem Vortrag zum Thema Pränataldiagnostik und deren gesellschaftlichen Implikationen.

Anmerkung: Aufgrund des Anspruchs, möglichst keine Menschen sprachlich zu diskriminieren, verwendet der vdää in Zukunft die gendersensible Schreibweise mit »*«.

Andrea Schmidt

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Global Health, 3/2017)


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