Bündnis pro Krankenhäuser wohnortnah
Gibt es in Deutschland zu viele Krankenhäuser und zu viele Krankenhausbetten?
Zuletzt hat ein Gutachten der Nationalen Akademie der Wissenschaften – Leopoldina in Halle diese Frage mit Ja beantwortet. Auch der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen und der Bertelsmann Stiftung kommen zu diesem Schluss. Und in der Tat ist fraglich, ob wirklich jedes Krankenhaus einen realen Bedarf bedient, da operationalisierbare Kriterien zur Ermittlung des gesellschaftlichen Bedarfs weiterhin fehlen. Für Bürgerinnen und Bürger vor Ort stellt sich diese Frage häufig anders, wenn wohnortnahe Versorgungsstrukturen den sogenannten »Marktaustritt« vollziehen sollen. Das hier vorgestellte »Bündnis pro Krankenhäuser wohnortnah« hat sich durch Vernetzung in der Auseinandersetzung um die Schließung einzelner Krankenhäuser gebildet.
Wir dokumentieren exemplarisch das Selbstverständnis des Bündnisses, als Beispiel für beginnende Proteste innerhalb – politisch heterogener – lokaler und regionaler Initiativen, die in einem Heft zu aktuellen Kämpfen im Gesundheitswesen nicht fehlen sollten.
Ursprung
Die Idee, dieses Bündnis zu gründen, ist entstanden, nachdem die »Bürgerinitiative Krankenhaus Emsdetten« (heute: Bürgerinitiative Gesundheitsversorgung Emsdetten) den Kampf um den Erhalt des Klinikums verloren hatte.
Gesundheitsversorgung vor Ort, der öffentliche Gesundheitsdienst mit seinen Versorgungsstrukturen und Prävention, ist eine kommunale Aufgabe. Doch die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen entziehen den Kommunen die Grundlagen, um die Aufgabe auch erfüllen zu können. Gleichzeitig hat sie keinen Einfluss auf eben diese Rahmenbedingungen. So hat bislang jede Kommune windmühlenartig und alleine für ihr jeweiliges Krankenhaus gekämpft.
Überall das gleiche Bild: Demos, Petitionen, Briefaktionen an Ministerpräsidenten, Landräte, Gesundheitsminister und vieles mehr. Geändert hat sich nichts! Die Krankenhäuser wurden geschlossen, werden geschlossen oder zentralisiert.
Zentralisierung verschärft die Probleme der Gesundheitsversorgung
Vor Ort fehlt damit die Notfall- und Grundversorgung. Besonders ältere immobile und sozial schlechter gestellte Menschen leiden darunter. Bei einem geplanten Eingriff kann man eine gewisse Kilometerzahl als Anfahrt in Kauf nehmen. Doch ältere Menschen, die stürzen, sich einen Bruch zuziehen, die Probleme mit dem Bluthochdruck haben oder dehydriert sind, weil sie zu wenig getrunken haben… – für diese Menschen wird die Zentralisierung der Krankenhausstandorte ein Problem.
Aus diesen Erfahrungen heraus war die logische Konsequenz, ein Bündnis der vielen Initiativen vor Ort zu gründen. Insgesamt haben sich bislang 15 Bürgerinitiativen im ganzen Land über soziale Netzwerke miteinander verbunden. Diese Bürgerinitiativen haben erkannt, dass nur dann etwas erreicht werden kann, wenn die bundesweite Vernetzung gelingt.
Konzepte am Grünen Tisch: Uneinlösbare Versprechungen
Deutschlandweit brechen derzeit die Versorgungsstrukturen weg. 450 Krankenhäuser sollen bundesweit in absehbarer Zeit »vom Markt« genommen werden. Hinzu kommen die vielen Probleme der hausärztlichen Versorgung, die Zentralisierung der hausärztlichen Notdienste und die der sogenannten Terminservicestellen. Sie sollen Facharzt-Termine vermitteln.
Entsprechend sind die Notfallaufnahmen der Krankenhäuser völlig überlastet. Wen wundert das? Nirgendwo in Deutschland gibt es eine »Rund-um-die-Uhr«-Notfallversorgungen ohne Krankenhaus, die sogenannte 24/7-Versorgung. Es fehlt jegliches Konzept, um diesen Problemlagen zu begegnen. Wenn alles zentralisiert wird, zentralisieren sich erfahrungsgemäß auch die Patienten. In der Fläche kommt es hier zwangsläufig zur gesundheitlichen Unterversorgung – vor allem in den ländlichen Regionen. Dies eben auch als Folge der gewollten Zentralisierung auf große Häuser, um Patientenströme zu lenken.
Die Aktivitäten des Bundesbündnis Klinikerhalt
Organisiert wird das Bündnis der Bürgerinitiativen und Fördervereine wohnortnaher Krankenhäuser über das Internet, mit dessen Möglichkeiten für Videokonferenzen, Mailling-Listen, sozialen Netzwerken und sogenannten Internet-Blogs. Das Ziel ist, auf der Ebene der Bürger und Patienten bundesweit die Proteste gegen die Rahmenbedingungen der Gesundheitspolitik zu erhöhen. Mediale Aufmerksamkeit ist natürlich der Grundstein für erfolgreiches Arbeiten in so einer Struktur.
Somit war das Bündnis dabei, als die Krankenhausgesellschaft Niedersachsen in Hannover vor dem Rathaus 180 Betten aufgestellt hat, um im Rahmen einer Pressekonferenz mit der Ministerin Rundt auf den Investitionsstau aufmerksam zu machen. Als in Köln gegen TTIP und CETA demonstriert wurde, durfte das Bündnis ebenfalls nicht fehlen. Auf der Gesundheitskonferenz in Wuppertal konnte das Bündnis sein Konzept einer größeren Anzahl an Fachleuten und Politikern präsentieren.
Das Bündnis versendet ständig Briefe an Wirtschaft und Politik, um auf jeweils aktuelle Problematiken hinzuweisen. Wir haben ebenfalls teilgenommen an der WDR-Sendung »Ihre Meinung – Macht uns unser Gesundheitssystem krank?«, moderiert von Bettina Boettinger, bei der u.a. die NRW-Gesundheitsministerin Steffens zu Gast war. Aktuell steht es an, Wahlprüfsteine an Parteien zu versenden, die an den Wahlen 2017 teilnehmen (Länder und Bund).
Internet macht‘s möglich
Das »Bündnis pro Krankenhäuser wohnortnah« will dazu beitragen, dass diese vielen Initiativen in Zukunft weniger isoliert agieren. Priorität hat deshalb derzeit die Kontaktaufnahme zu Bürgerinitiativen und Institutionen, die an am gleichen Thema arbeiten, zum Beispiel Fördervereine, Betriebsräte, Mitarbeiter- oder Patientenvertretungen u.a., die aus der Praxis heraus die Fehlentwicklungen der Gesundheitspolitik tagtäglich erleben und auch erleiden. Über die App »Bündnis pro Krankenhäuser wohnortnah« werden Interessierte aktuell über Aktivitäten und Neuigkeiten des Bundesbündnisses informiert.
Mehr Informationen dazu:
www.facebook.com/groups/BuendnisproKrankenhaus
(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Kämpfe im Gesundheitswesen, 4/2016)