Zwischen Geld und Moral
119. Deutscher Ärztetag in Hamburg
»Ihr, die euren Wanst und unsre Bravheit liebt
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer dreht und wie ihr’s immer schiebt
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral«
(B. Brecht)
Erst kommt das Fressen...
Ärztinnen und Ärzte und das Geld – ein altes Thema. Wenn es ums Einkommen geht, sogar noch um das Einkommen aus der Privatversicherung, dann kennt die Ärzteschaft keinen Spaß. Schon im Januar auf dem Außerordentlichen Ärztetag in Berlin wurde der Vorstand der BÄK wegen seiner angeblich zu weichen Verhandlungsführung um die neue GOÄ scharf angegriffen. Nachdem dann im März die Verhandlungen endgültig gescheitert waren, brach ein Tsunami über den Vorstand herein. Und auf dem Ärztetag in Hamburg ging es weiter: Montgomery sollte als Vorsitzender abgewählt werden. Eineinhalb Stunden wurde nur darüber diskutiert, ob die Abwahl auf die Tagesordnung sollte oder nicht, eine Frage, die man in fünf Minuten hätte klären können. Diese beschämende Diskussion fand, pressewirksam, gleich zu Beginn des Ärztetages statt. Auffällig war, wie argumentativ schwach die Vertreter von Freien Ärzten bis Virchow Bund, die im Vorfeld lauthals und sehr präsent in der Presse die Abwahl gefordert hatten, dann in der Diskussion auftraten. Nachdem diese Änderung der Tagesordnung mit großer Mehrheit vom Plenum abgelehnt worden war, wurde dann stundenlang über die Anforderungen an eine neue GOÄ diskutiert.
Ein Wunschkonzert
Mit der längsten Rednerliste des Ärztetages äußerten unzählige Redner ihre Anforderungen an eine neue GOÄ: keine Beteiligung der PKV oder Beihilfe, keine gemeinsame Kommission und, und, und... Dabei wurde nur eines vergessen: In absehbarer Zeit wird es keine neue GOÄ geben (siehe die Presseerklärung des vdää anlässlich des Ärztetages). Diese müsste als Rechtsverordnung durch den Bundesrat gehen und die SPD hat sich eindeutig dahingehend positioniert, dass sie keiner neuen GOÄ zustimmen wird. Vor 2018, also erst nach der nächsten Bundestagswahl, wird es keine Diskussion um eine neue GOÄ geben, und selbst das ist fraglich. Aber anstatt schon jetzt über Alternativen nachzudenken – wie wäre es mit einer Angleichung von EBM und GOÄ? –, wurde völlig realitätsfremd und rückwärtsgewandt über mögliche Wünsche der Ärzteschaft an eine neue GOÄ diskutiert. Drei Millionen Euro hat die Bundesärztekammer schon in das Projekt gesteckt, und sie will weiter für eine externe Beraterfirma zahlen. Und das für eine Rechtsverordnung, für die das Ministerium verantwortlich ist. Warum eigentlich soll die Ärzteschaft dafür zahlen?
Die Absurdität der GOÄ-Debatte wurde auch dadurch nicht geringer, dass sie in großen Teilen nach einem sehr erfrischenden Beitrag von Michael Marmot, dem Präsidenten des Weltärztebundes, zu sozialen Determinanten von Gesundheit, geführt wurde.
...und dann die Moral
Bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen gab es dann sehr gute Beiträge. Der Vorstand der BÄK spricht sich, zum wiederholten Male, für die flächenhafte Einführung einer Gesundheitskarte für Geflüchtete aus. Insbesondere wurde die schlechte und völlig unzureichende personelle Ausstattung des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) kritisiert. Hier fordert die Bundesärztekammer eine deutliche personelle Aufstockung. Mit großer Mehrheit wurden die medizinischen Regelungen im Asylpaket II vom Ärztetag abgelehnt. Auch unsere Resolution wurde mit großer Mehrheit angenommen. Sie beinhaltet neben der Forderung nach einer Gesundheitskarte die Ablehnung der beschleunigten Abschiebung von Folteropfern oder die Forderung nach Anerkennung einer PTBS als Abschiebehindernis. Bei diesen Forderungen gab es praktische keine ablehnenden Kommentare, auch nicht von der rechten Seite. Hinsichtlich der medizinischen Versorgung von Geflüchteten nahm also der Ärztetag eine sehr flüchtlingsfreundliche Haltung ein. Auch zu TTIP wurde wegen der Gefährdung der medizinischen Versorgung des Gesundheitssystems, eine eindeutig ablehnende Haltung eingenommen. (Beide Anträge finden sich auf der Homepage des vdää)
Sehr interessant waren dann die Vorträge und Diskussionen zum Thema Pharmapreise. Prof. Ludwig, als Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, belegte in einem sehr faktenreichen Vortrag, dass Pharmapreise, insbesondere bei sogenannten Innovationen – ein Ausdruck, vor dessen kritiklosen Anwendung er ausdrücklich warnte – teilweise »Mondpreise« sind. Sie haben nichts mit Herstellungs- und Entwicklungskosten zu tun und lassen sich meist auch nicht an der Effektivität ihrer Anwendung bemessen. Dann kam Birgit Fischer, die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller: eine absolute Zumutung. Auf Ludwigs Argumentation hatte sie nichts zu entgegnen, verwendete gefühlte 35 Mal den Begriff Innovation und behauptete sogar, die Arzneimittelpreise seien in den letzten Jahren gar nicht gestiegen. Auch kein Wort zu Sovaldi oder anderen Skandal-Preisen. Fischer war früher Gesundheitsministerin für die SPD in NRW und Geschäftsführerin der Barmer Ersatzkasse. Sie nahm mit diesem Vortrag auch dem letzten Gläubigen die Illusion, dass SPD-Mitgliedschaft und politische Käuflichkeit unvereinbar seien. Ihren Kurswechsel, den sie 2011 mit der Anstellung bei der Pharmaindustrie vorgenommen hatte, hat sie anscheinend aus ganzem Herzen vollzogen.
Es bleibt die Erkenntnis, dass die Pharmaindustrie eine ganz »normale« Industrie ist, die nach kapitalistischen Prinzipien funktioniert. Es muss Profit gemacht und maximiert werden. Irgendwelche sozialen Anwandlungen sind hier nicht zu erwarten. Entsprechend sollte sich die Ärzteschaft zukünftig konsequent aus der Umarmung der Industrie lösen und auf härtere Preisverhandlungen im G-BA drängen. Es wurde sehr kritisch über die Rolle der Pharmaindustrie diskutiert, doch wurde unser Antrag, keine CME-Punkte mehr für Pharma gesponserte Veranstaltungen zu vergeben, nicht angenommen. Das ging dem Ärztetag dann doch zu weit.
Im TOP IVc ging es dann um die Ökonomisierung im Krankenhaus. Prof. Weiser, Vorsitzender des Verbandes der leitenden Krankenhausärzte, legte gleich zu Beginn seines Vortrages dar, dass die Unterordnung der Medizin unter die Ökonomie nicht nur die leitenden ÄrztInnen, sondern das gesamte Klinikpersonal betrifft. Zielvereinbarungen würden jetzt schon mit Assistenzärzten abgeschlossen und die Vorlage von Chefarztverträgen bei der Kammer ist ein stumpfes Schwert, da der Krankenhausträger nicht zu einer Vertragsänderung gezwungen werden kann. Und wenn der erste Bewerber den Vertrag nicht unterzeichnet, dann wird es eben der zweite tun. Auch qualitätsorientierte Zielvereinbarungen führten hier nicht weiter. Denn sie können sich auch nur an oberflächlichen, leicht zu beeinflussenden Kennzahlen messen (z.B. Mortalität nach Herzinfarkt, Einhaltung der oberen Grenzverweildauer u.ä.).
Unsere Forderung nach einem öffentlichen Symposion zur Problematik von Medizin und Ökonomie wurde an den Vorstand überwiesen. Mal sehen, was dabei herauskommt, in der Regel werden solche Anträge wegen Kostenrelevanz abgelehnt.
Übrigens: Montgomery hat jetzt Ärger mit der Leitung der Hamburger Asklepios Kliniken. Der Geschäftsführer von Asklepios fühlt sich auf den Schlips getreten durch Montgomerys Aussagen zu Zielvereinbarungen. Mal sehen, wie das ausgeht.
Ein sich selbst verwaltender Wasserkopf
Schließlich noch eine etwas absurde Diskussion über die zukünftige Gremienstruktur. Die Akademien für Allgemeinmedizin und die für die Gebietsärzte sollten als Ausschuss zusammengelegt werden. Nun ist die Bezeichnung Akademie ein überaus hypertropher Begriff: Die Akademien bestehen aus etwas über 20 Personen, die sich ein bis zweimal jährlich zu einem Diskussionsvortrag treffen. Aber an diesem Modell sollte nicht gerüttelt werden, deshalb wurde die alte Struktur beibehalten. Unter den 14 Kandidaten befanden sich immerhin vier Frauen, ansonsten alles verdiente Altfunktionäre. Dabei wollte sich die BÄK mit dieser Reform verjüngen und nach außen öffnen. Aber wo kämen wir hin, wenn den verdienten Funktionären die Posten weggewählt werden?
Fazit
Ein sehr zwiespältiger Ärztetag. Wenn es um das Geld geht, dann verliert die Ärzteschaft jeden Realitätssinn. Stundenlang wird über eine GOÄ diskutiert, die in nächster (oder auch in ferner) Zukunft nicht kommen wird. Statt sich über neue Vergütungsformen Gedanken zu machen und innovative Vorschläge zu entwickeln, wird stur rückwärtsgewandt diskutiert. Hier ist auch genug Geld für weitere externe Unterstützung vorhanden, obwohl schon drei Millionen Euro in den Sand gesetzt wurden. Bei allen anderen Punkten, die zugegebenermaßen die Ärzteschaft nichts kosten, gab sich der Ärztetag liberal bis fortschrittlich. Gute Beschlüsse wurden zur Flüchtlingshilfe und zur Ökonomisierung getroffen. Aber wie Brecht schon sagte: »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral«.
Wulf Dietrich
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Lobbyismus im Gesundheitswesen, 2/2016)