Ärzte sind keine Hilfspolizisten
Maintal, 4. Februar 2015
Der Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää) wehrt sich vehement gegen den Eingriff in die Autonomie ärztlicher Entscheidungen durch die jüngsten Aussagen des Bundesinnenminister Thomas de Maizière in einem Interview mit der Rheinischen Post: »Es werden »immer noch zu viele Atteste von Ärzten ausgestellt, wo es keine echten gesundheitlichen Abschiebehindernisse gibt... Dagegen spricht jede Erfahrung«, so der Minister weiter.
Wessen Erfahrung? Hat er schon einmal mit einem Arzt oder einer Ärztin gesprochen, die Gutachten erstellt? Hat er je einen traumatisierten Flüchtling gesehen? In seiner Beamtenmentalität zählen nur Zahlen, Abschiebezahlen. Dass hinter jeder dieser Zahlen auch ein Mensch, ein menschliches Schicksal steht, ist dem Minister unbekannt. Der Weg durch die Sahara und die Fahrt über das Mittelmeer sind keine Betriebsausflüge, es sind Wege, die schwere Traumata hinterlassen – zusätzlich zu den eigentlichen Fluchtursachen. 10 000 Flüchtlinge sind im Mittelmeer auf ihrer Flucht ertrunken, und das soll spurlos an den Überlebenden vorbeigehen?
De Maizière übt hier öffentlichen Druck auf die Ärzteschaft aus, damit diese zukünftig ihre medizinische Kompetenz seinen politischen Vorstellungen unterordnet. Warum bedauert er nicht die große Zahl traumatisierter Flüchtlinge? Deren persönliches Schicksal scheint ihm egal zu sein.
Das ärztliche Berufsrecht regelt die ärztliche Tätigkeit. Bisher gibt es kein Verfahren gegen Gutachter wegen falscher gutachterlicher Bescheinigungen. De Maizière sollte konkrete Beispiele nennen, bevor er pauschal alle gutachterlich tätigen Kolleginnen und Kollegen in der Öffentlichkeit diffamiert und unter Druck setzt.
Es muss, leider, klar und deutlich gesagt werden: Die Ärzteschaft ist nicht die Hilfspolizei der Politik.
Prof. Dr. Wulf Dietrich, Vorsitzender des vdää
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Lobbyismus im Gesundheitswesen, 2/2016)