Zügel für Big Pharma
CEO fordert ein obligatorisches Lobbyregister für die EU – von David Lundy
Corporate Europe Observatory (CEO) ist eine lobbykritische Organisation in Brüssel, die Forschung und Kampagnen zum Lobbyismus in der EU macht. David Lundy erläutert uns, wie Lobbyismus auf EU-Ebene aussieht. Unbedingt zu empfehlen sind übrigens die lobbykritischen Stadtrundgänge von CEO durch Brüssel!
Die Pharmaindustrie mit ihren 176 Vollzeit-Lobbyisten gibt jedes Jahr mindestens 40 Millionen Euro für Lobbyarbeit in Brüssel aus. Wobei – diese Schätzung ist auf Informationen des freiwilligen Transparenz-Registers der EU gestützt – die wahren Ausgaben wahrscheinlich viel höher sind. Daher ist der Eindruck der Einflussnahme auf Arzneimittelkampagnen, Gesundheitsorganisationen Gesundheitsaktivisten und Patientenrechtegruppen zwar desolat, wahrscheinlich ist es aber noch viel schlimmer.
Das Transparenz-Register wurde 2011 von der europäischen Kommission und dem europäischen Parlament ins Leben gerufen. Kommissionsmitglied Maroš Šefovi stellte damals das neue Register als Fortschritt für die Transparenz von Politik-Prozessen in Europa vor und machte einige gewagte Versprechungen. Das Register sollte »de facto« verpflichtend sein und jeden mit einschließen, der an der politischen Debatte der EU teilhaben wollte. Heute zählt das Register tausende Einträge von Lobbyisten, die sich freiwillig eingetragen haben, um Informationen über ihre Aktivitäten zur Verfügung zu stellen.
Doch es bleiben ernsthafte Schwachstellen bestehen und das Corporate Europe Observatory (CEO) hat immer wieder auf die großen Probleme und Defizite eines »opt-in«-Systems hingewiesen, zudem auf fehlende Sanktionen für Einträge mit falschen Informationen. Obwohl sich auch das EU-Parlament für ein verpflichtendes Register ausgesprochen hat, hat die EU-Kommission beharrlich die Finger von diesem Schritt gelassen. Das Register ist sicher nicht ideal, aber zusammen mit einigen anderen kleinen Schritten in Richtung Transparenz in Brüssel im Verlauf der letzten Dekade haben wir wenigstens eine leise Idee von der Macht und dem Zugang zu Politikschaffenden großer Industriezweige wie den Pharmaunternehmen.
Zusätzlich zu geheimniskrämerischer Kaufkraft, hat »Big Pharma« ein außergewöhnliches Geschick, hochrangige Treffen mit Kommissions-Vertretern zu erreichen. Beispielsweise hatte die einflussreiche European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA) über 50 Treffen mit Mitgliedern der Juncker-Kommission in den ersten viereinhalb Monaten nach deren Amtsantritt (von November 2014 bis März 2015). Gemäß unserer letztes Jahr veröffentlichten Studie »Policy prescriptions: the firepower of the EU pharmaceutical lobby and implications for public health« (»Politische Rezepte: die Feuerkraft der europäischen Pharmalobby und Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit«) waren die immer noch anhaltenden Verhandlungen über ein EU-US-Freihandelsabkommen – das Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) – ein Hauptaugenmerk der Pharmaindustrie bei Diskussionen mit hochrangigen Abgeordneten seit 2013.
TTIP ist dabei, die Handelshemmnisse für den Kapitalmarkt abzubauen. Die Verhandlungen wurden unter Geheimhaltung auf undemokratische Art und Weise geführt; fast alle Informationen kommen aus durchgesickerten Dokumenten und »Freedom of Information«-Anfragen. Umfangreiche Kontakte zwischen der Kommission und der Pharmaindustrie bezüglich TTIP in Kombination damit, dass die Pharma-Ansprüche eine schädliche Wirkung auf den Zugang zu Medikamenten und zum öffentlichen Gesundheitswesen haben, zeichnen ein besorgniserregendes Bild für Aktivisten und Bürger. Multinationale Konzerne im Medikamenten-Geschäft hoffen, im Verlauf der Verhandlungen ihre Geheimniskrämerei bezüglich der Ergebnisse klinischer Studien durchzubekommen, um Patienten, Ärzten und Forschern den Zugang zu Methoden und Ergebnissen der Medikamentenforschung vorzuenthalten.
Ein anderer heißbegehrter Verhandlungspunkt bei Treffen mit einflussreichen Kommissionsmitgliedern ist für Big Pharma die Innovative Medikamenten-Initiative (IMI). Diese ist Europas größte Public Private Partnership, die angeblich darauf abzielt, die Entwicklung besserer und sichererer Medikamente für Patienten zu beschleunigen und Innovation in Europa zu fördern. IMI wurde schon 2008 als Gemeinschaftsunternehmung der EU und der größten Pharma-Lobby-Gruppe ins Leben gerufen, um Forschungs-Engpässe im Medikamenten-Entwicklungs-Prozess zu beseitigen. Dabei ist der Hauptinhalt der Initiative, dass EU-Steuergelder an millionenschwere Konzerne für Medikamenten-Forschung und Entwicklung weitergegeben werden. Im Endeffekt werden dadurch Forschungskosten subventioniert und es wird durch ein selbst erstelltes intellektuelles Eigentumsrecht ermöglicht, alle Profite abzugreifen.
IMI ist ein gutes Beispiel für die intimen Vernetzungen zwischen der Industrie und den Entscheidungsträgern der Kommission, um Big Pharma zu stärken und ihren Wünschen entsprechend öffentliche Zuschüsse zu bekommen, mehr Profit zu machen und wirtschaftsfreundliche Politik durchzusetzen. Eine Untersuchung des deutschen Magazins Der Spiegel und der belgischen Tageszeitung De Standard zeigte letztes Jahr, dass die bereits von der EU in IMI investierten Millionen eine gigantische Subvention des Pharmasektors sind – statt ein Fortschritt der Medikamentenforschung. Diese Episode der EU, die die Pharmaindustrie finanziert, erinnert an ähnliches Verhalten der EU in Bezug auf Gesundheitspolitik; die Intentionen und Beweggründe der Industrie werden durch die Abgeordneten nicht hinterfragt.
Das Online Transparenz-Portal der Kommission kratzt nur an der Oberfläche viel intensiverer Lobby- und Industrie-Kontakte: Unsere Forschungsarbeit deckte auf, dass die Kommission – anders als veröffentlicht – auf niedrigerer Ebene bis zu zehnmal mehr Treffen mit der Pharmaindustrie hatte als auf der höchsten Ebene der Generaldirektionen. Diese beinhaltete auch Treffen mit Industrielobbys, die sich nicht in das Transparenz-Register eingeschrieben hatten. Die online-Bekanntgabe von Treffen mit Kommissionsmitgliedern, deren Kabinetten und Generaldirektoren zeigt der Öffentlichkeit nur einen Ausschnitt der Wahrheit, wobei die Masse der Treffen immer noch heimlich und ohne Überwachung stattfindet.
Solch überbordender Einflussnahme muss im Interesse des öffentlichen Gesundheitswesens, des Zugangs zu Medikamenten und der Handels-Gerechtigkeit unbedingt Einhalt geboten werden. Trotz eines wachsenden Bewusstseins in der Öffentlichkeit, dass die Art des Politik-Machens in Brüssel allzu formbar in den Händen von Lobbyisten ist, scheint die Kommission diesen Kurs beibehalten zu wollen und schlafwandlerisch in den nächsten großen Lobby-Skandal zu steuern.
Der erste Schritt, um dies zu verhindern, sollte eine volle Transparenz der Lobbyarbeit über ein wirklich verpflichtendes, kontrolliertes und sanktioniertes EU-Lobbyregister sein. Komplette und automatische Bekanntgabe von Lobbyisten-Treffen mit Politikern sowie eine Neuverteilung der Interessen in Beratergruppen sind lange überfällig.
Als Kommissionspräsident Juncker zu Beginn seiner Amtszeit versprach, Transparenz und Ausgleich voranzubringen, außerdem ein verpflichtendes Lobbyregister für alle drei Institutionen auf den Weg zu bringen, sah es nach einer Verbesserung für Bürger und Aktivisten aus. Unglücklicherweise scheint jedoch das big business seine Interessen in Brüssel mehr und mehr durchzusetzen – zum Nachteil der öffentlichen Hand. Dabei ist die Machtposition der Pharmaindustrie eins der traurigsten Beispiele.
David Lundy arbeitet für Corporate Europe Observatory (CEO) Brüssel.
Übersetzung: Eva Pelz
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Lobbyismus im Gesundheitswesen, 2/2016)