Schwierige Kritik...
Zur Diskussion über Pränataldiagnostik im Rahmen von vdää on tour in Hadamar
Am Sonntagvormittag wurde der Bezug zu aktuellen bioethischen und gesundheitspolitischen Themen hergestellt. Hierzu war Kirsten Achtelik, Sozialwissenschaftlerin aus Berlin und Autorin des 2015 erschienen Buchs »Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung« anwesend.
In den letzten Jahren haben sich zunehmend christlich-fundamentalistische Abtreibungsgegner*innen in die Öffentlichkeit gedrängt. Vorzeigeprojekt ist der sogenannte »Marsch für das Leben«, gegen den sich seit 2008 feministischer Protest regt. In diesen Kontext sind auch Mahnwachen der selbsternannten »Lebensschützer*innen« zu sehen, die versuchen, Schwangere vor Beratungsstellen und Praxen, die zu Schwangerschaftsabbrüchen beraten oder diese durchführen, zu verunsichern.
Gegen diese christlich-konservative Kritik an Selbstbestimmung und dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch wird oft ein neoliberal geprägtes Verständnis von Selbstbestimmung in die Debatte eingebracht, das die Entscheidungen über selektive Schwangerschaftsabbrüche auf rein individueller Ebene und außerhalb politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse verortet. Eine linke Kritik, so Kirsten Achtelik, könne weder die eine noch die andere Perspektive einnehmen, sondern müsse unter Rückgriff auf die Behindertenbewegung und die Feministische Bewegung eine andere Kritik formulieren.
PND-Debatte und Eugenik
Achteliks Input begann mit einer Einordnung der Debatte um Pränataldiagnostik (PND). Diese stehe in der historischen Linie der Eugenik, wohingegen die in Hadamar praktizierte »Euthanasie« im Kontext der heutigen Sterbehilfedebatte zu sehen sei.
Die Referentin veranschaulichte die Tradition der deutschen Humangenetik am Beispiel von Otmar Freiherr von Verschuer, der als renommierter NS-Rassenhygieniker und Eugeniker 1951 auf eine Professur für Humangenetik berufen wurde. In den 1970er Jahre wurde die erste humangenetische Beratungsstelle in Marburg eingerichtet. Hier wurde angemerkt, dass versucht wurde, die Leitung der Beratungsstellen in die Hände von nicht-NS-belastetem Personal zu legen. Zu Beginn hätten die Beratungsstellen große Spielräume für umfassende Beratung gehabt. Über die Jahre sei die Humangenetik jedoch zum Laborfach herabgestuft worden, während PND als Akkordarbeit in gynäkologischen Praxen durchgeführt werde. Hier besteht zwar eine Beratungspflicht, diese werde jedoch verschieden umfassend praktiziert.
Ab 1975 fand die Humangenetik auch in der medizinischen Ausbildung ihren Platz. Im selben Zeitraum wurde das Recht auf Schwangerschaftsabbruch zunehmend von der feministischen Bewegung aufgegriffen. Eine Kritik an der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden und erst 1995 abgeschafften Straffreiheit bei eugenischer Indikation (§218a StGB) kam in der feministischen Bewegung erst ab Mitte der 1980er auf.
Dabei gab Achtelik zu Bedenken, dass eugenischen Forderungen noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Teilen der Linken populär waren. Ziel war die Verbesserung des Genpools der nationalen Bevölkerung. Daran, was mit Verbesserung gemeint war, unterschied sich die linke aber von der Diskussion des NS. Demgegenüber sei in der aktuellen PND-Debatte kein staatlich gesteuertes Programm mit diesem Ziel zu erkennen. Der Begriff »Eugenik« sei daher unpassend und es sollte stattdessen von »selektiver PND« gesprochen werden.
PND und Vorsorgeuntersuchungen
Besonders wichtig ist die Abgrenzung von PND gegenüber Vorsorgeuntersuchungen für Schwangere und Kind: Während Vorsorgeuntersuchungen präventive oder therapeutische Folgen nach sich ziehen (z.B. frühzeitige Erkennung von Schwangerschaftsdiabetes, Herzfehlern, Spina bifida, Plazenta praevia), dient PND ausschließlich der Möglichkeit zur selektiven Abtreibung, ohne therapeutische Konsequenzen nach sich zu ziehen (Bsp. Ersttrimesterscreening zur Erkennung von Trisomie 21).
Ca. 70 Prozent der Schwangerschaften in Deutschland werden als Risikoschwangerschaften eingestuft. Die zunehmende – und von interessierter Seite geschürte Angst dient zur Rechtfertigung der steigenden Zahl an Untersuchungen mit fraglichem Nutzen – im Durchschnitt werden derzeit acht Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaft durchgeführt. Der Machbarkeitswahn erzeugt weitere Unsicherheit und führt die Schwangeren so auf eine »slippery slope«. Dem zugrunde liegt die Sichtweise, dass Behinderungen grundsätzlich als unzumutbar angesehen werden.
Kritik am Präna-Test
Zuletzt sprach die Referentin noch den seit 2012 in Deutschland verfügbaren Präna-Test an. Dieser extrahiert fetale DNA aus dem mütterlichen Blut und ermöglicht so, den Verdacht auf eine Chromosomenanomalie frühzeitiger festzustellen. Liegen die Ergebnisse vor der 12. SSW vor, wird dadurch Abbruch nach der Beratungsregelung möglich. Achtelik befürchtet als Konsequenz die Ausweitung von selektiven Schwangerschaftsabbrüchen, obgleich der Test nur unsichere Ergebnisse liefere.
Die Kritik am Präna-Test wurde auch in der Diskussion aufgegriffen: Da die medizinischen Risiken bei einer einfachen Blutentnahme der Schwangeren erheblich geringer seien, sei fraglich, was am Präna-Test problematischer sei als an anderen Verfahren. Des weiteren wurde angemerkt, dass es durchaus vorstellbar sei, dass in Zukunft auch therapeutische Konsequenzen aus dem Präna-Test gezogen werden könnten, die beispielsweise die frühzeitige in-utero-Therapie drohender Erkrankungen erlauben würden. Andererseits wurde hinterfragt, was als Konsequenz fetaler DNA-Tests zu erwarten wäre, wenn beispielsweise das Geschlecht und weitere genetisch beeinflusste Eigenschaften frühzeitig bestimmt werden könnten.
Behinderung: Zumutung oder Akzeptanz
In der Diskussion wurde unter anderem thematisiert, inwieweit Behinderungen aufgrund chromosomaler Anomalien weiterhin als Zumutung für die Betroffenen und deren Angehörige gesehen werden. Entsteht eine zunehmende Akzeptanz offenkundiger Behinderung wie beispielsweise Trisomie 21 durch Kampagnen? Geht diese auf Kosten von psychisch Kranken, die in Kampagnen schlechter zu »vermarkten« sind – und im Übrigen die größte Opfergruppe der T4-Morde darstellten?
Ein Großteil der Trisomie-21-Schwangerschaften wird weiterhin abgebrochen. Kirsten Achtelik merkte an, dass die häufig kursierende Zahl von 90 Prozent mit Vorsicht zu genießen sei, da Abbrüche mit medizinischer Indikation in den Statistiken nicht weiter aufgeschlüsselt werden. Des Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass Behinderungen viel häufiger auf perinatale Schäden zurückgehen, als auf genetische Abweichungen. Es sollte darum deutlich gemacht werden, dass PND keinen Schutz vor Behinderungen darstellt.
Zum Schluss schlug Kirsten Achtelik den Bogen zur kurz zuvor beschlossenen Ehe für alle: Auch für den Umgang mit Behinderung sei es von zentraler Bedeutung, für moderne Konzepte von Familie und Elternschaft einzutreten und so die Bedingungen für eine integrative Gesellschaft zu schaffen.
Paul Brettel studiert Medizin in Freiburg und ist Mitglied im vdää-Vorstand.
(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Global Health, 3/2017)