GbP 3-2017 Lancet - Protestschreiben

Wir protestieren

Verteidigung der akademischen und medizinischen Unabhängigkeit in der Türkei

Im Lancet vom 27. Juli 2017 veröffentlichten Alexis Benos, Chiara Bodini, Hannah Cowan, David McCoy, Penelope Milsom und David Sanders im Namen von 207 Individuen und 25 Organisationen ein Protestschreiben gegen die türkische Regierung, das auch der vdää unterzeichnet hat. Wir dokumentieren das Schreiben in deutscher Übersetzung.

Wir schreiben im Namen von 207 Gesundheitsarbeiter*innen, Akademiker*innen und Forscher*innen, und 25 Gesundheits- und Menschenrechtsorganisationen aus vielen Ländern. Wir wollen die Leserschaft des Lancet aufmerksam machen auf alarmierende Ereignisse in der Türkei, wo der Staat eine Kampagne von Terror und Strafverfolgung gegen Tausende von Gesundheitsarbeiter*innen und Akademiker*innen führt.

Nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 führte die türkische Regierung im Rahmen eines zeitweiligen Ausnahmezustands verschiedene Maßnahme ein. Diese Maßnahmen sind allerdings so ausgeweitet worden, dass sie die bürgerlichen Freiheiten und die Demokratie aushöhlen. Neben anderen Aktionen wurden zehntausende Angestellte des öffent­lichen Dienstes ohne Begründung oder Gerichtsverfahren entlassen.(1) Für 63 Städte wurden Ausgangssperren verhängt – darunter Städte wie Cizre, Silvan und Sur – davon betroffen sind 1,8 Millionen Menschen.(2)

Zu diesem harten Vorgehen gehörte die Entlassung von 463 Akademiker*innen (elf von ihnen wurden erst vor kurzem von ihrer Arbeit suspendiert, was oft das Vorspiel einer Entlassung ist(3)), drei haben eine Erklärung für den Frieden unter dem Titel »Academics for Peace« unterzeichnet. Bemerkenswert ist, dass diese Erklärung im Januar 2016, also einig Monate vor dem Putschversuch geschrieben wurde. Viele der 463 entlassenen Akademiker*innen werden am Reisen gehindert, indem man ihnen den Pass eingezogen hat. Unter diesen vor kurzem Entlassenen und Suspendierten sind viele Medizin-Professor*innen, die alle hoch angesehen Ärzt*innen mit internationaler Reputation sind. Weiterhin wurde vielen internationalen medizinischen NGOs untersagt, in der Türkei zu arbeiten.
Der Türkische Ärzteverband hat alle Seiten dazu aufgerufen, die die professionelle Autonomie der Beschäftigten im Gesundheitswesen bei der medizinischen Versorgung zu respektieren, sich an international vereinbarte Verpflichtungen zu halten, entsprechende Verletzungen zwingend zu untersuchen und die Verantwortlichen auszumachen.(4)

Der Angriff des türkischen Staats auf die Freiheit der Wissenschaft und die Freiheit der Rede ist Teil eines größeren Angriffs auf die Demokratie, den auch Amnesty International dokumentiert hat.(5) Dennoch können diese Entwicklungen nicht einfach als ein nationales Problem angesehen werden. Sie sind Teil eines beängstigenden Trends zu autoritären Politikformen in verschiedenen Teilen der Welt.

Die internationale Wissenschaftler*innen-Community darf nicht dazu schweigen. Wir müssen vehement reagieren und unserer Missbilligung gegenüber der Regierung und den Universitäten der Türkei Ausdruck verleihen, die sofortige Wiedereinstellung fordern und solidarisch mit den Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen sein, die ihre Jobs verloren haben. Und wir müssen darauf bestehen, dass die Wiederherstellung der Bürgerrechte eine Voraussetzung für das Recht auf Gesundheit darstellt.

Chiara Bodini und David Sanders sind Co-Vorsitzende des People Health Movement. (Wir erklären, keine Interessenskonflikte zu haben.)

Eine Liste mit allen Unterzeichner*innen findet sich hier:
http://www.thelancet.com/cms/attachment/2105039898/2081061920/mmc1.pdf

 (Quelle: http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(17)32093-7/fulltext - Übersetzung: Nadja Rakowitz)

Anmerkungen

1 European Commission for Democracy through Law: Turkey— opinion on emergency decree laws nos. 667–676 adopted following the failed coup of 15 July 2016, adopted by the Venice Commission at its 109th Plenary Session, www.venice.coe.int/webforms/documents/?pdf=CDL-AD(2016)037-e
2 Human Rights Foundation of Turkey. Curfews in Turkey between the dates 16 August 2015–1 June 2017, http://en.tihv.org.tr/curfews-in-turkey-between-the-dates-16-august-2015-1-june-2017/
3 12 peace declaration signatory academics discharged from Dokus Elül University, Bianet (Istanbul). http://bianet.org/english/human-rights/187848-12-peace-declaration-signatory-academics-discharged-from-dokuz-eylul-university
4 Vatansever, K, Tanık, FA, Gökalp, Ş et al.: Rapid assessment of health services In eastern and south-eastern Anatolia regions in the period of conflict starting from 20 July 2015. Turkish Medical Association Publications (Ankara), www.ttb.org.tr/kutuphane/g_rapor_en.pdf
5 Amnesty International: No end in sight: purged public sector workers denied a future in Turkey, www.amnesty.nl/content/uploads/2017/05/No-End-In-Sight-ENG.pdf?x821827

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Global Health, 3/2017)


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