GbP 3-2017 Thomas Kunkel

Philanthrokapitalismus – Entwicklungshilfe mit menschlichem Antlitz?

 

Angesichts der Größenordnungen und des hohen Einflusses durch private, philanthropische Stiftungen in spezifischen historischen Perioden stellen sich einige Fragen: Wie und weshalb konnte es US-amerikanischen privaten Mega-Stiftungen gelingen, eine so zentrale Rolle in der WHO einzunehmen und die Agenda der internationalen Gesundheitspolitik über Jahrzehnte hinweg zu beeinflussen? Was bedeutet das für die Globale Gesundheit und ihre politischen Strukturen bzw. Akteure? Diese Fragen sind brisant, da der sogenannte »Philanthrokapitalismus«* in seinem Selbstverständnis ein Mittel zur Weltverbesserung ist, auch wenn er prinzipiell auf der regulären kapitalistischen Akkumulation mit all ihren unabtrennbar negativen Effekten basiert – von der Ausbeutung von Arbeitskräften und der Zerstörung natürlicher Ressourcen bis hin zu Steuervergünstigungen und monopolistischer Preisgestaltung.

 

»[…] grants made by the Foundation
do not reflect the burden of disease endured by those in deepest poverty«. (1)

 

Blick zurück ins 19. Jahrhundert

Als Geburtsstunde der modernen »international health« mit internationalen Berichten über epidemiologisch re­levante Infektionskrankheiten wird häufig die erste internationale Gesundheitskonferenz in Paris 1851 betrachtet. Offenbar lag es am großen Misstrauen der vorwiegend europäischen Staaten bzw. sich bildenden Staaten untereinander, dass erst im Jahr 1907 – elf Konferenzen und über fünfzig Jahre später – mit dem Office International d’Hygiène Publique (OIHP) eine kontinuierlich arbeitende Institution etabliert wurde.

Kurz darauf gründete der Ölmagnat John D. Rockefeller Jr. die Rockefeller Foundation (RF) . Zu dieser Zeit neben der Carnegie Stiftung die größte philanthropische Stiftung der USA. Ihr gesundheitspolitisches Engagement diente auch dem Zweck, negativen Schlagzeilen über das Rockefeller Ölmonopol entgegen zu wirken. Die schlechte Presse erreichte 1914 ihren Höhepunkt, als zwei Dutzend streikende Minenarbeiter und ihre Familien in Colorado getötet wurden – in einer Mine, deren Besitzer dem Rockefeller-Monopol unterstand. Arbeiter*innen, investigative Journalist*innen und die Öffentlichkeit durchschauten die Rockefellersche Strategie relativ schnell, dass hier Arbeiteraufstände, politischer Radikalismus und andere Bedrohungen des Geschäftsbetriebs durch philanthropische Spenden beruhigt werden sollten. Dementsprechend wurde Familie Rockefeller geraten, sich in philanthropischen Bereichen wie Gesundheit, Medizin und Bildung zu engagieren, da diese Bereiche als neutral und unbedenklich galten. So kam es, dass die Rockefeller Stiftung in den kommenden vierzig Jahren die internationale Gesundheit maßgeblich mit aufbaute und dominierte.

Bis zur Auflösung der International Health Division (bis 1927 International Health Board) im Jahr 1951 flossen durch die RF mehrere Milliarden US-Dollar zur Bekämpfung tropischer Krankheiten wie Hakenwurminfekte, Gelbfieber, Malaria sowie kleinere Programme gegen Pocken, Tollwut, Influenza, Schistosomiasis und Unterernährung in über einhundert Ländern und Kolonien. Viele der Programme basierten auf Ko-Finanzierung durch Regierungen, die im Laufe der Zeit die Kosten übernahmen bzw. übernehmen mussten. Trotz dieser Umtriebigkeit zielten die Aktivitäten der Rockefeller Stiftung kaum auf die wichtigsten Todesursachen, insbesondere nicht die Kindersterblichkeit durch Durchfallerkrankungen und Tuberkulose, für die keinerlei schnelle, technische Lösung parat stand, sondern für die es langfristige, horizontale, d.h. auf die so­zialen Determinanten zielende Interventionen gebraucht hätte, wie z.B. bessere Wohnverhältnisse, sauberes Wasser und Sanitärsysteme. Stattdessen vermied die RF Kampagnen, die kostspielig, komplex oder zeitaufwändig hätten sein können. Viele Kampagnen waren bewusst eng konzipiert, um quantifizierbare Ziele wie z.B. Medikamentenverteilung oder Insektizideinsatz, definieren, erreichen und letztendlich in quartalsweisen Businessreports als Erfolg präsentieren zu können.

In diesem Prozess stimulierten die Aktivitäten der RF die Produktivität, erweiterten Absatzmärkte und bereiteten riesige Gebiete für ausländische Investitionen vor, um sie letztendlich im expandierenden globalen Kapitalismus verwertungsfähig zu machen.

Der Kampf gegen die sozialen und politischen Ursachen der gesundheitsschädlichen Verhältnisse war eine wichtige Triebfeder für das gesundheitspolitische Engagement von Anti­fa­schis­t*in­nen, Ar­bei­te­r*in­nen, kommunistischen wie sozialdemokratischen Akti­vis­t*in­nen in den 1930er Jahren. Das war kein Widerspruch für die RF - im Gegenteil. In dieser Phase griff sie progressive Perspektiven auf und finanzierte sogar teilweise Initiativen, die von linken Wis­sen­schaft­le­r*in­nen und Public Health-Expert*innen konzipiert waren, solange damit technische Lösungen und nationales Geschäftsinteresse vereinbar waren. Der philanthropische Status verschaffte eine gewisse Unabhängigkeit von öffentlicher Kontrolle. Die RF war allein ihrem Vorstand rechenschaftspflichtig. Ihr Einfluss auf die Entwicklungen der Public Health Agenda und dem Aufbau von Institutionen wurde durch die starke Präsenz auf internationaler Ebene gesichert und gedeckt durch weitreichende Vernetzung in viele andere Public Health Aktivitäten hinein. Bemerkenswert vor dem Hintergrund der damaligen Zeit war, dass die RF nicht nur als Geldgeber fungierte, sondern zugleich als nationale, bilaterale, multilaterale, internationale und transnationale Einrichtung.

Der kalte Krieg und die globale Ausbreitung des Kapitalismus

Nach der Gründung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1948 zog sich die RF von ihrer internationalen Führungsrolle zurück und hinterließ ein zwar mächtiges, jedoch auch problematisches Erbe. Einerseits hatte die RF es geschafft, weltweit politische und öffentliche Unterstützung für Public Health zu schaffen und die Institutionalisierung der internationalen Gesundheit maßgeblich voran zu bringen. Andererseits wurden gleichzeitig vertikale, d.h. biotechnische Ansätze und die externe Einflussnahme auf internationale Institutionen gefestigt.

Diese vertikalen Ansätze der WHO wurden in den 1970er Jahren zunehmend auf die Probe gestellt. Unter Generaldirektor Halfdan Mahler wurde von 1973 bis 1988 eine viel stärkere soziopolitische Strategie eingeschlagen. Die »primary health care« Bewegung, die aus der WHO-UNICEF Konferenz von Alma Ata 1978 hervor ging, begriff Gesundheit als fundamentales Menschenrecht, das durch integrierte soziale und gesundheitspolitische Ansätze umgesetzt wird, die breitere Determinanten von Gesundheit einbeziehen und den Focus von Heilung zu Prävention verschieben.

Als die WHO gerade begonnen hatte, sich vom Erbe der Rockefeller Stiftung und ihren engen, vertikalen Ansätzen zu verabschieden, geriet die Institution in die politischen Umbrüche der späten 80er Jahre. Die finanziellen Krisen in vielen Mitgliedsstaaten ließ zudem die Finanzierungsbasis bröckeln. Der Aufstieg marktradikaler, liberaler Ideologien führte vor allem in den USA dazu, dass der Rückhalt für öffentlich finanzierte Einrichtungen im Gesundheitsbereich schwand. Letztendlich wurden die Beitragszahlungen bzw. das Zurückhalten der Beitragszahlungen von der Regierung unter Ronald Reagan als Druckmittel genutzt, um bestimmte Kurskorrekturen in Bereichen der WHO zu erzwingen, wo Regulierungen den Geschäftsinteressen von US-amerikanischen Unternehmen zuwider liefen.

Anfang der 1990er Jahre kam nicht einmal mehr die Hälfte des Budgets der WHO von den Mitgliedsbeiträgen; der Rest von vielen verschiedenen Geldgebern, inklusive einiger privaten Einrichtungen bzw. Stiftungen, die spezifische Programme in ihrem Interesse förderten. Heute sind fast achtzig Prozent des Budgets der WHO »earmarked«, d.h. die Geldgeber und nicht die WHO selbst bestimmen, wie ihre Beiträge verwendet werden.

Die Gates Stiftung tritt auf den Plan...

Um das Jahr 2000 herum stagnierten die finanziellen Aufwendungen im Bereich globaler Gesundheit. Viele Länder mittleren und niedrigen Einkommens trugen schwer an multiplen Problemen wie HIV/AIDS, dem Wiederaufflammen von Infektionskrankheiten und der Zunahme chronischer Erkrankungen. Die jahrzehntelangen Einschnitte in den sozialen Sicherungssystemen, u.a. durch die Politik von World Bank und IMF verschärften die Probleme zusätzlich.
In dieses Vakuum stieß die Bill and Melinda Gates Stiftung (BMGF) im Jahr 2000 vor, gegründet von Microsoft Chef Bill Gates und seiner Ehefrau Melinda. Ebenso wie bei Rockefeller fiel das philanthropische Engagement zusammen mit schlechter Presse. Bill Gates startete ein Kinderimpfprogramm, einen Vorläufer der Stiftung, im Jahr 1998 als Microsoft bzw. Bill Gates viel Kritik bekam, da er Lobbyarbeit für eine Kürzung des Budgets des US Justizministeriums einsetzte, während diese Einrichtung ein Verfahren wegen Kartellbildung gegen seine Firma vorantrieb.

Im Jahr 1999 spendete Gates 750.000 US-Dollar an die Global Alliance for Vaccines and Immunization (GAVI) , die auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gegründet wurde. Ende des Jahres sah sich Microsoft mit einer Sammelklage wegen Monopolmissbrauch von Millionen Kunden aus Kalifornien konfrontiert. In den darauffolgenden Jahren entwickelte sich die BMGF zu einem mächtigen Geldgeber in der Global Alliance for Improved Nutrition (GAIN) dem Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria (heute: Global Fund). Die Stiftung stellt mehr Finanzmittel für Globale Gesundheit bereit, als jede andere Regierung, mit Ausnahme der USA. Im Jahr 2015 verfügte die Stiftung über 39,6 Milliarden US-Dollar, davon kamen 17 Milliarden von Treuhänder Warren Buffet.
Die Stiftung gibt jährlich etwa sechs Milliarden US-Dollar aus, wovon 1,2 Milliarden in globale Gesundheit fließen, also z.B. in die Bekämpfung von HIV, Malaria und Tuberkulose. 2,1 Milliarden US-Dollar fließen in Entwicklungshilfe, also Impfprogramme, Mutter- und Kindergesundheit, Familienplanung und landwirtschaftliche Entwicklung. Längst ist das Budget der BMGF größer als das der WHO, während die Stiftung gleichzeitig der größte private Geldgeber für die WHO ist. Ein Großteil der Beiträge ist zweckgebunden für Programme zur Polio-Eradikation.

Genau wie die Rockefeller Stiftung benötigt die BMGF Ko-Finanzierung aus öffentlichen Geldern und entwickelt Programme mit technologischer Ausrichtung und leicht zu quantifizierbaren, eng definierten, kurzfristigen Zielen. Obwohl die Stiftung viel Anerkennung für ihr Engagement und die Tatsache bekommt, dass sie den Global Health Bereich mit Geld und Leben füllt, äußern selbst Unterstützer Kritik am Mangel an Transparenz und Verbindlichkeit, insbesondere weil die Kofinanzierung aus öffentlichen (Steuer-)Mitteln stammt.

Kritik an der BMGF

Es bleibt nicht aus, dass so ein großer, teilweise sehr widersprüchlicher und mächtiger Akteur wie die BMGF viel Kritik auf sich zieht. So leitet die Stiftung weite Teile ihrer Finanzmittel in Organisationen und Strukturen in Ländern mit ohnehin hohem Einkommen, was aufgrund der Größenordnung der Beträge das globale Ungleichgewicht zwischen armen und reicheren Regionen verstärkt. Im Jahr 2016 flossen drei Viertel der Mittel an Organisationen, von denen 90 Prozent in den USA, England oder der Schweiz sitzen. Die Stiftung legt großes Gewicht auf die Finanzierung von Projekten gegen Malaria und HIV/AIDS, während sie gleichzeitig kaum Mittel für chronische, nicht übertragbare Erkrankungen ausgibt.

Einer der Schwerpunkte der BMGF ist die Finanzierung von Programmen zur Impfstoffverteilung und -entwicklung. Zwar sind Impfungen ein wichtiges Instrument der öffentlichen Gesundheit, die Geschichte hat jedoch gezeigt, dass der Rückgang der Sterblichkeit seit dem 19. Jahrhundert vor allem an der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen durch politische Auseinandersetzung lag. Diesen Umstand ignoriert Gates in seinen Stellungnahmen; sein Ansatz gilt Kritiker*in­nen als verkürzt, da er simple Lösungen für komplexe, sozial verwobene Gesundheitsprobleme verfolgt. Ansätze, die sich an sozialer Gerechtigkeit orientieren, können aus der Sicht der Stiftung vernachlässigt werden.

Weitere Kritikpunkte betreffen die Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit einerseits und andererseits den Menschen bzw. Gruppen gegenüber, für die sich die Stiftung einsetzen möchte. Hier fehlt es offenbar häufig am Willen, die Bedürfnisse und Perspektiven der Zielgruppe(n) mit einzubeziehen.

Interessenskonflikte?

David Stuckler et al haben in einem Artikel das Portfolio für Investitionen der BMGF untersucht, mit der Fragestellung, inwiefern strukturelle Faktoren, wie z.B. die Verbindungen zwischen Microsoft und der BMGF Einfluss auf die Investitionsprioritäten haben. Die Autor*innen zeigen auf, dass beträchtliche Teile der Finanzmittel in private Firmen abfließen und dass es Verbindungen von Gremienmitgliedern der Stiftung zu kommerziellen Unternehmen gibt, die unmittelbar von den Stiftungsaktivitäten profitieren.

Beispielsweise wirft das Investment der Stiftung in den Coca Cola-Konzern Fragen auf, da ein erhöhter Konsum von zuckerhaltigen Getränken unmittelbar mit dem globalen Problem der Adipositas zusammen hängt. Die Marketing- und Vertriebsstrategien des Konzerns werden von Vertretern der BMGF, inklusive Melinda Gates, offensiv gelobt und von ihnen als Blaupause für Entscheidungsträger im Global Health Bereich empfohlen. Der distanzlose Umgang mit dem Coca Cola-Konzern und die Tatsache, dass Bill Gates persönlich und durch seine Stiftung beträchtliche Mittel in die Firma investiert, werfen die Frage auf, ob jenseits des philanthropischen Anspruches nicht Vorstandsmitglieder der Stiftung persönlich finanziell von dieser Zusammenarbeit profitieren.

Politische Ökonomie des Philanthrokapitalismus

Solche Verbindungen, wie sie zwischen der BMGF und Konzernen wie Monsanto, McDonald‘s und Coca Cola bestehen, deuten auf ein tiefer liegendes Problem hin: die Tendenz privater Stiftungen, politische Lobbyarbeit entlang von Konzerninteressen zu leisten, während man sich gleichzeitig den
Anschein einer vermeintlich unpolitischen oder gemeinwohlorientierten Institution gibt. Dies betrifft nicht nur private Stiftungen, sondern lässt sich auch auf andere philanthrokapitalistische Akteur*innen verallgemeinern. Formal operieren sie außerhalb politischer Strukturen und Einrichtungen, um aber durch die eigenen Aktivitäten und nicht zuletzt Finanzkraft erheblichen Einfluss auf die öffentlichen Einrichtungen zu nehmen.

Fazit

Während die RF den Versuch unternahm, den Gesundheitsbereich als eine anerkannte Domäne von Regierungshandeln als Teil öffentlicher Verantwortung zu etablieren und damit die Prinzipien, Praktiken und Schlüsselinstitutionen der internationalen Gesundheit in der Hand einer Organisation - der WHO - letztendlich zu prägen, trat die BMGF auf den Plan, als die Globale Gesundheit gerade in einer politischen Krise steckte. Ihr Handeln stellte die Führungsrolle der WHO und anderer internationaler Organisationen im Gesundheitsbereich in Frage und führte zu einer Fragmentierung.

 

* Der Ausdruck Philanthrokapitalismus wurde durch das US-amerikanische Magazin The Economist geprägt. Er soll die Einführung philanthropischer Prinzipien in profitorientierte Geschäftsprozesse verdeutlichen und gleichzeitig das wohltätige Potential des Kapitalismus hervorheben, indem Innovationen und Praktiken, die zum vermeintlichen Wohle Aller dienen, in den Vordergrund gestellt werden.

 

Thomas Kunkel ist Allgemeinmediziner in München und stellvertretender Vorsitzender des vdää.

 

Anmerkungen


1 Lancet 2009: 1577; McCoy, Chand and Sridhar 2009; McCoy et al. 2009; Sridhar and Batniji 2008

 

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Global Health, 3/2017)


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