Ärzteorganisationen in Spanien
Marciano Sánchez Bayle erläutert uns die verschiedenen ärztlichen Organisationsformen in Spanien. Vieles davon kommt uns sehr bekannt vor...
Die Ärztevereinigungen in Spanien weisen einige Charakteristika auf, die als deutliches Erbe der Franco-Diktatur betrachtet werden können. Grob betrachtet, gibt es vier Arten der Organisationen: Ärztekammern (los colegios de médicos), Gewerkschaften (los sindicatos), wissenschaftliche Verbände (las asociaciones científica) und die Ärzteverbände (las asociaciones profesionales).
In den Ärztekammern, die als markante Vertreter des Erbes der Diktatur bezeichnet werden können, besteht Zwangsmitgliedschaft für alle Ärzte (kein Arzt darf ohne Mitgliedschaft in Spanien arbeiten, selbst wenn er im öffentlichen Gesundheitswesen oder in der Gesundheits-Verwaltung arbeitet, oder keine ärztliche Tätigkeit ausübt). Außerdem basiert die Organisation auf einem Mehrheitswahlrecht in den örtlichen (provinciales) Ärztekammern (eine Stimme mehr reicht aus, um den ganzen Vorstand zu besetzen) sowie indirekten Wahlen der Vereinigung der regionalen Ärztekammern, bei deren Abstimmung nur die Präsidenten der (örtlichen) Ärztekammern stimmberechtigt sind.
Auf diese Weise hat sich ein bürokratischer Apparat entwickelt, der auf Kosten der Ärzte und unter großem Einfluss der Pharmaindustrie arbeitet. Die Ärzte zeigen im Allgemeinen wenig Interesse an den Ärztekammern und nehmen nicht an den Wahlen teil (an den letzten Ärztekammerwahlen in Madrid gaben nur 13 Prozent der 35.000 Ärzte ihre Stimme ab). Darüber hinaus gibt es eine Bewegung, die eine freiwillige Mitgliedschaft fordert, zumindest für die Beschäftigten im öffentlichen Gesundheitswesen. In jedem Fall handelt es sich um Institutionen mit großer Macht und Wirtschaftskraft, aber nur geringer Unterstützung unter der Ärzteschaft.
Die Ärztekammern in Spanien sind in vielen Bereichen aktiv:
- • Sie agieren als Lobby zur Verteidigung der konservativsten Positionen innerhalb der ärztlichen Profession, zum (gegenseitigen) Nutzen der pharmazeutischen Industrie und der privaten Krankenversicherungsgesellschaften. Sie setzen eine Reihe bürokratischer Formalitäten um wie die Registrierung der Ärzte, Zertifizierungen für diejenigen Mitglieder, die im Ausland arbeiten wollen, und die Registrierung/Anerkennung derjenigen ausländischen Ärzte, die in Spanien arbeiten wollen (vorwiegend aus Lateinamerika).
- • Sie organisieren alle Arten von Aktivitäten – von sozialen und kulturellen Aktivitäten bis zu Fortbildungskursen. Im Allgemeinen stellen sie Bibliotheken bereit, die nicht besonders aktuell sind (da sie keine Subskriptionen haben, die den Mitgliedern einen online-Zugang zu Zeitschriften ermöglichen würden).
- • Sie haben umfangreiche Beziehungen mit Versicherungsgesellschaften und bieten ihren Mitgliedern dadurch vergünstigte Versicherungsbedingungen.
- • Sie haben Rechtsberatungsstellen für die Mitglieder mit geringem Nutzen (Garantie) für die Mehrheit (der Mitglieder), da sie auf die private medizinische Praxis spezialisiert ist, die in Spanien in der Minderheit ist.
- • Sie unterhalten eine institutionelle Vertretung in verschiedenen (staatlichen) Organisationen (Bundesländer, autonome Gemeinden), Gesundheitsministerium, Bildungsministerium.
- • Sie unterhalten zahnärztliche Kommissionen mit spärlichen Aktivitäten und sehr konservativer Ideologie.
Es gibt zwei Gewerkschaften, die die Ärzte vertreten: allgemeine Gewerkschaften, in denen auch nicht-ärztliche Beschäftigte vertreten sind (CCOO, UGT und einige regionale Gewerkschaften in Gallizien, Katalonien und dem Baskenland), sowie ärzte-spezifische Gewerkschaften, von denen CESM (Staatliche Vereinigung der ärztlichen Gewerkschaften) neben einigen kleineren linken Gewerkschaften die größte ist. CESM erhält den größten Zulauf von Ärzten, allerdings auf niedrigem Niveau – vermutlich nicht mehr als fünf Prozent – und die Zahlen variieren nach Regionen (Comunidades Autónomas, CCAA, entspricht in etwa den deutschen Bundesländern). Die Mediziner-Gewerkschaften konzentrieren sich auf arbeitsrechtliche Probleme und sind, wie die Ärztekammern, sehr konservativ und stehen dem privaten Gesundheitssektor sehr nahe, was den nur mäßigen Erfolg in der Ärzteschaft erklären könnte, da die meisten Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen beschäftigt sind.
Die wissenschaftlichen Verbände decken die einzelnen wissenschaftlichen Fachgebiete ab. Das schließt die Allgemeinmedizin und die Primärversorgung ein. Die Mitgliedschaft ist freiwillig und umfasst den Großteil der Ärzteschaft in den jeweiligen Fachgebieten. Die Aufgaben umfassen Lehre, Organisation von Weiterbildungskursen, Kongressen etc. Daher sind ihre sozialpolitischen Positionen weniger klar, wenngleich es auch hier viel Spielraum gemäß der CCAA (Regionen) gibt, wie etwa enge, sogar viel zu enge, Verbindungen mit der Pharmaindustrie. Sie haben eine Koordinierungsinstanz (FACME), die einen größeren Gestaltungsspielraum in der Gesundheitspolitik anstrebt. Insgesamt gibt es große Unterschiede zwischen den Verbänden und je nach CCAA.
Die Ärzteverbände vertreten die verschiedenen ideologisch politischen Positionen der Fachkräfte in Bezug auf Gesundheits- und Standespolitik. Die ältesten Ärzteverbände zum Schutz des öffentlichen Gesundheitswesens sind in einer staatlichen Vereinigung organisiert (FADSP), aber in letzter Zeit sind auch einige andere kleinere, örtliche begrenzte Verbände entstanden. Die Ärzteverbände beschäftigen sich mit gesellschaftspolitischen Themen und Gesundheitspolitik aus einer nicht-kommerziellen Perspektive. Typischerweise kollaborieren sie mit sozialen Einrichtungen, Gewerkschaften und politischen Parteien. In Spanien haben sich die Ärzteverbände z.B. stark gegen Kürzungen und Privatisierungen im Gesundheitswesen eingesetzt.
Das Medizin-Studium liegt in der Verantwortung der Universitäten (der Großteil staatlich, aber auch einige privat), die durch das Bildungsministerium und Beratung der CCAA kontrolliert werden. Die Postgraduiertenausbildung, also die Spezialisierung, wird vom Gesundheitsministerium organisiert, das sich um Ausgestaltung kümmert. Die Gesundheitsdienste der Selbstverwaltung gestalten schließlich die konkrete Weiterbildung. Die Organisation der Facharztweiterbildung wir durch verschiedene Organisationen organisiert:Die Ärztekammern und wissenschaftlichen Verbände, die Ärzteschaft und die Verwaltung sind Teil der zentralen Weiterbildungs-Kommissionen der unterschiedlichen Fachgebiete.
Die kontinuierliche Fortbildung ist sehr chaotisch organisiert. Größtenteils ist sie von den wissenschaftlichen Verbänden abhängig und stark von der Pharmaindustrie durchdrungen, die die Fortbildungen sponsert. Außerdem haben einige CCAA eigene Fortbildungsprogramme, wobei diese sehr kümmerlich sind und andere Fortbildungsveranstaltungen nur ergänzen. Sie fokussieren auf Teilaspekte, die nicht von der Industrie abgedeckt werden (Statistik, Epidemiologie, Gesundheitswesen etc.)
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass es in Spanien eine formelle Organisation gibt, ähnlich organisiert wie Parteien oder Gewerkschaften, die den Anspruch hat, alle Ärzte zu vertreten. Allerdings wird die Struktur nur durch Pflichtmitgliedschaft aufrechterhalten und die antidemokratische Satzung ermöglicht es, den bürokratischen Apparat aufrecht zu erhalten.
Es gibt wissenschaftliche Fachverbände mit hoher Präsenz und vielen Aktivitäten in diesem Bereich, allerdings kontrolliert und abhängig von der Industrie. Die Gewerkschaften im Gesundheitssektor bestehen zum einen aus welchen mit breiter Basis (Beschäftigte im Gesundheitswesen) und zum anderen aus reinen Ärztegewerkschaften. Auch wenn in letzteren mehr Ärzte vertreten sind, sind die Mitgliederzahlen gering. Auf der anderen Seite gibt es Berufsverbände, wie der Fachverband zum Schutz des öffentlichen Gesundheitswesens, die sich aktiv in die Gesundheitspolitik einmischen.
Marciano Sánchez Bayle, Arzt, Sprecher des Fachverbands zum Schutz des öffentlichen Gesundheitswesens
Übersetzung aus dem Spanischen: Stephan Dietrich / Andreas Wulf
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Ärztliche Standesorganisationen, 1/2016)