GbP 3-2022 Editorial

Liebe Leser*innen, 

kurz vor Drucklegung hat uns in der Redaktion die Nachricht vom Tod von Klaus Dörner erreicht. Er ist am 25. September im Alter von 88 Jahren gestorben und gehörte in der Bundesrepublik zu den zentralen Personen, die sich für eine Psychiatrie-Reform einsetzten – verbunden mit der lang ausgebliebenen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Psychiatrie im Nationalsozialismus und ihren Kontinuitäten nach 1945. Für einen ausführlichen Nachruf reichte uns die Zeit nicht mehr; wir werden das in der nächsten Ausgabe von Gesundheit braucht Politik nachholen. Um die Tradition zu verstehen, in der Klaus Dörner stand, empfehlen wir aber neben dem Text von Luna Carpinelli und Karin Mlodoch über Franco Basaglia und die italienische Psychiatrie-Reform (S. 27ff.) den auf S. 31 dokumentierten Artikel von Erich Wulff aus dem Buch zum Marburger Kongress von 1973 »Medizin und gesellschaftlicher Fortschritt«, der u.a. von Hans Mausbach herausgegeben wurde. Mit Hans Mausbach ist eine weitere zentrale Figur der linken Ärzt*innenopposition und Mitgründer des vdää* gestorben. Einen Nachruf auf ihn von Bernd Hontschik findet sich auf S. 30.

Dass heute wie damals kritische Reflexion auf die medizinische Praxis auch bei der Behandlung psychischer Erkrankungen notwendig ist, zeigt Karin Mlodoch in ihrem Text über die Behandlung von Überlebenden von Krieg und Gewalt am Beispiel des Irak (S. 4) Sie stellt angesichts fehlender politischer Lösungen für eine Vielzahl anhaltender kriegerischer Konflikte eine Verschiebung der Perspektive fest: Es geht um »Resilienzstärkung«. Dies sei aber nur der schönfärberische Ausdruck dafür, dass die Menschen »fit für die Katastrophe« gemacht werden sollen, die sie dann in ihren Herkunftsländern aushalten sollen. Psychologie als Fluchtabwehr. Ähnliches weiß Wolfgang Hien (S. 16) über den Umgang mit (lohn-)arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen hierzulande zu berichten. Nicht die sich immer weiter verschärfenden Arbeitsbedingungen die Möglichkeit, sich kollektiv dagegen zu wehren, sondern das persönliche Verhalten stehe im Vordergrund, so seine Kritik. Welche Voraussetzungen und welches Potential hier verschiedene Psychotherapieverfahren haben und haben könnten, diskutieren Waltraud Nagell (S. 20) und Leonie Knebel (S. 23).

Nicht nur, aber gerade bei der Versorgung und Therapie von nach Deutschland geflohenen Menschen braucht es dringend einen Paradigmenwechsel für die psychische Versorgung, so die These von Lukas Welz (S. 14) von der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF). In einem der Mitgliedszentren der BafF, dem PSZ Düsseldorf, arbeitet Esther Mujawayo-Keiner, mit der wir ein Interview über die Erfahrungen gemacht haben, die sie nach dem Genozid in Ruanda mit schwerst traumatisierten Frauen gemacht hat, die eine Organisation gegründet haben, die sowohl individuelle (Selbst-)Hilfe leistet als auch politische Arbeit in Ruanda macht. »Hope in Hell« heißt eine beeindruckende TV-Dokumentation über sie.

Nach dem von manchen Leser*innen als zu »dystopisch« kritisierten Heft 2/2022 von GbP findet hier also Hoffnung Raum, die selbst in der Hölle noch besteht.

Bildnachweis

Die Bilder in dieser Ausgabe stammen von der Künstlerin Elfriede Lohse Wächtler. Elfriede Lohse Wächtler (1899-1940) war eine deutsche Malerin der Avantgarde. 1929 wurde sie aufgrund eines Nervenzusammenbruchs in die Hamburger Staatskrankenanstalt Friedrichsberg eingewiesen, wo die Zeichnungen »Friedrichsberger Köpfe« entstanden, von denen wir in diesem Heft einige verwendet haben. Später wurde bei der Künstlerin eine Schizophrenie diagnostiziert und sie wurde 1935 im Rahmen der nationalsozialistischen Eugenik zwangssterilisiert. 1940 wurde Elfriede Lohse Wächtler im Rahmen der Aktion T4 in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet. Offizielle Todesursache war »Lungenentzündung mit Herzmuskelschwäche«.

Ihr Schicksal erinnert uns daran, was für dunkle Kapitel die deutsche Psychiatriegeschichte hat.

(Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Psychische Erkrankungen, Nr. 3, Oktober 2022)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Gesundheit braucht Politik wird vom ärztlichen Berufsverband vdää herausgegeben, der sich als Alternative zu standespolitisch wirkenden Ärzteverbänden versteht.

zur Webseite

Finde uns auf