GbP 2-2022 Editorial

Liebe Leser*innen

Während wir dieses Editorial schreiben, also Mitte Juni, herrschen in Nordindien und Bangladesch die größten Überschwemmungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts, während in Spanien wieder Waldbrände außer Kontrolle geraten, in Brandenburg die Wälder brennen, wie man es sonst nur aus dem Süden Europas kennt, und es in manchen Teilen von Deutschland schon verboten ist, den Garten zu gießen, weil das Wasser so knapp ist. Und es ist hier gerade mal Frühsommer …

Was Ihr hier vor Euch habt ist das zweite Themenheft zu Klimawandel und Gesundheit (das erste erschien 2018 und steht auf unserer Homepage). Vielleicht werdet Ihr ein wenig überrascht sein über unsere Textauswahl, denn was Ihr in diesem Heft kaum findet, ist das am meisten Naheliegende: eine ausführliche Erörterung der Folgen des Klimawandels auf die Gesundheit. Wir setzen bei unserer Leser*innenschaft voraus, dass diese bekannt sind oder dass Ihr die Orte kennt, an denen man sich über diese Zusammenhänge informieren kann. Deshalb genügen uns der Text aus dem Umfeld der Deutschen Allianz für Klima und Gesundheit (KLUG) und der Text von Matthias Martin Becker über das relativ neue Phänomen der »Eco Anxiety«. Außerdem haben wir gute Tipps und Links zum Weiterlesen (S. 28).

Worum es uns in diesem Heft viel mehr geht, ist – 50 Jahre nach der Veröffentlichung des Club of Rome zu den »Grenzen des Wachstums« – eine politische Einbettung der Debatte über Klimawandel und Gesundheit. Über diese Frage machen wir deshalb den Auftakt mit einer Diskussion zwischen Katharina Thiede, Bernhard Winter, Robin Maitra, die Delegierte der Ärztekammern sind, und Nadja Rakowitz für die Redaktion von GbP. In dem Gespräch werden die Themen, aber auch die Widersprüche in der Debatte angeschnitten, die dann in den anderen Texten in diesem Heft weiter diskutiert werden.

Eine grundlegende Funktion hat dabei der Text von Matthias Martin Becker über die Frage, ob es möglich ist, eine Gesellschaft mit kapitalistischer Produktionsweise zu haben, die dennoch nicht Natur und Mensch zerstört. Es geht also um die Frage, ob die Klimakrise innerkapitalistisch gelöst werden kann oder ob eine andere Wirtschaftsweise notwendig ist, wenn wir den Klimawandel bzw. diese Form der systematischen Naturzerstörung stoppen wollen. Stefan Schoppengerd diskutiert ebenfalls von einem solchen kapitalismuskritischen Hintergrund die Probleme, jedoch konkreter am Gesundheitswesen – und verweist darauf, dass linken Kritiker*innen wenig Anlass für Überlegenheitsgefühle haben, denn die Beantwortung der drängenden Fragen wird mit dieser anderen Perspektive nicht einfacher.

Laurie Laybourn-Langton stellt den Nationalen Gesundheitsdienst in Großbritannien (NHS) als Vorreiter gegen den Klimawandel dar und somit auch potentielle Lösungsansätze für nationale Institutionen. Eine andere Herangehensweise, die im einleitenden Gespräch angesprochen wird, wird von Dieter Lehmkuhl vertieft: Wie weit ist der Ansatz gediehen, über »grüne« Geldanlagen der Versorgungswerke zur ökologischen Transformation beizutragen?

Noch komplizierter werden die Fragen, wenn man sie nicht nur im nationalen oder vielleicht europäischen Rahmen angehen will, sondern – und das leuchtet angesichts weltweiter Wirtschaftsverflechtungen hoffentlich unmittelbar ein – die globale Perspektive miteinbezieht. Dies zu ignorieren bringt eine imperiale Arroganz zum Vorschein, so Radwa Khaled-Ibrahim, die in ihrem Text einerseits dieselben globalen Folgen des Klimawandels, andererseits aber auch die Benachteiligung des globalen Südens im Sinne eines Neokolonialismus sowie positive Zukunftsutopien aufzeigt.

Von ihrem Text kommt auch die Idee für die Bebilderung dieser Ausgabe: Ist eine Landschaft, sind Häuser und Straßen erst einmal überflutet, gibt es nur noch wenige Unterschiede zwischen Nord und Süd, zwischen mehr oder weniger materiell entwickelten Gesellschaften. Der Klimawandel macht weder vor nationalen noch sozialen und kulturellen Grenzen halt. Das soll allerdings nicht heißen, dass wir angesichts des Klimawandels »alle gleich sind« oder dieser uns alle gleich trifft. Ganz im Gegenteil. Die Auswirkungen sind auf die Verursacher und die Leidtragenden äußerst ungleich verteilt, im Kleinen wie im Großen.

Außerhalb des Schwerpunkts beschließen wir das Heft mit zwei Beiträgen zum Krieg in der Ukraine. Pirous Fateh-Moghadam skizziert eine friedenspolitische Haltung von Beschäftigten des Gesundheitswesens. Felix Ahls, Mitglied der Redaktion von »Gesundheit braucht Politik«, notiert dazu einige skeptische Anmerkungen. Wir verstehen beide Texte im Paket als Diskussionsangebot der Redaktion.

(Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Klima. Wandel. Zukunft?, Nr. 2, Juni 2022)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Gesundheit braucht Politik wird vom ärztlichen Berufsverband vdää herausgegeben, der sich als Alternative zu standespolitisch wirkenden Ärzteverbänden versteht.

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