Gemeinsame Praxis in einer solidarischen Struktur ...
... das geht nur bei ver.di – meint Peter Hoffmann
Peter Hoffmann ist seit fast 30 Jahren Anästhesist in einem Münchner Krankenhaus, das in der Ökonomisierung vom kommunalen Eigenbetrieb zur gGmbH überführt wurde. Er hat sich an den Auseinandersetzungen um die Beratungs- und Sanierungsrunden des städtischen Klinikums beteiligt, zuletzt um eine bedarfsgerechte Neubauplanung, war Streikleiter des mb 2006 (und ist dort noch immer Mitglied) und Co-Streikleiter von ver.di 2020, er war eine Wahlperiode über die ver.di-Liste im Betriebsrat, ist Vertrauensmann im Betrieb und in der Bundesfachkommission Ärztinnen und Ärzte von ver.di und arbeitet als vdää-Vertreter im Bündnis Krankenhaus statt Fabrik mit.
Sollen Ärzt*innen sich in ver.di organisieren? Warum? Hier eine Annäherung an eine Entscheidung, die eine ganz persönliche Antwort fordert.
Was wünsche ich mir? Ich wünschte mir: Jede angestellte Ärzt*in, insbesondere jede junge Kolleg*in in der Weiterbildung, möge, auf dem Boden der Verhältnisse stehend, frei und willig das Bedürfnis entwickeln, sich der Gewerkschaft anzuschließen. Ich wünschte mir, eine solche höchstpersönliche Einsicht als eine innere Notwendigkeit. Die nächste Frage, die sich dann stellt, ist: In welche Gewerkschaft soll ich eintreten? In »die« Ärzt*innengewerkschaft Marburger Bund (mb), die, zumindest für die Älteren unter uns eher Standesorganisation als Gewerkschaft ist? Oder in die große Einheitsgewerkschaft für alle im Krankenhaus und generell im Dienstleistungsbereich Beschäftigten, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Ich habe für mich die Antwort gefunden.
Das Krankenhaus als solidarische Struktur sehen
Nach bald 30 Jahren im selben kommunalen Krankenhaus ist mir sehr bewusst, wie sehr das Krankenhaus Netzwerk ist, oder dringend sein müsste. Bei allem äußeren Druck, bei allen unter Corona jetzt noch autoritäreren Strukturen, bei aller strukturellen Zersplitterung und den damit verbundenen Versuchen, sich Mühen, Verantwortung und Schuld gegenseitig zuzuschieben, bei allen Löchern im Sparstrumpf Krankenhaus, bei aller Überforderung und dem Personalmangel nicht nur in der Pflege: Es rührt oftmals an, wie Viele sich mit persönlichem Einsatz mühen, gute Arbeit zu machen, weil es ihrer Haltung entspricht, weil ihnen schlicht klar ist, dass es hier professionell und menschlich-solidarisch auf sie ankommt.
Ich denke, wir Ärzt*innen sollten das Krankenhaus nicht nur abstrakt als eine wertvolle soziale Struktur anerkennen, sondern uns konkret mit allen Beschäftigten dort vernetzen. Wir sollten das Wesen des Krankenhauses als solidarische Struktur sehen, sie gestalten und verteidigen. Dazu gehört, Gegenmacht zu organisieren gegen eine bunte Vielzahl gegnerischer Mächte und Kräfte.
Eine solidarische Haltung ist dabei kein einmaliger Entschluss, sondern immer wiederkehrende praktische Aufgabe. Dass Alle, ob in- oder outgesourcte Kolleg*in oder Patient*in, gleichermaßen als wertvolle Menschen angesehen und behandelt werden, ist zu fordern, aber auch im Krankenhaus leider noch nicht verwirklicht.
Das wird überraschend konkret, wenn wir jungen Ärzt*innen aus unserer bürgerlichen Mittelschichtsblase herausgetreten und in einem deutlich weniger abgepufferten Segment unserer Gesellschaft ankommen: am Arbeitsplatz, in der betrieblichen Interessenvertretung und in der Gewerkschaft mit unübersichtlichen und vielfältigen Diskriminierungen und Bruchlinien direkt konfrontiert werden.
Überraschend ist diese Erfahrung auch, weil Einser-Abiturient*innen, Medizinstudierende und Jung-Ärzt*innen es eher gewohnt sind, ihren Blick gesellschaftlich nach oben zu richten, wo sie Interesse und Respekt von Führungspersönlichkeiten erhoffen und wo Karrierechancen, Einfluss und Einkommen zugeteilt werden. Im Kontrast dazu zählen Betriebsräte, Personalräte, Mitarbeitervertretungen und ver.di nicht zu den Veranstaltungen für das gehobene Bürgertum. Das hat auch seine Vorteile: Ein kritischerer Blick auf die Verhältnisse ist zumindest leichter möglich, wenn auch nicht garantiert.
Es war mir angenehm, trotz der erstaunlichen Meinungsvielfalt in einer Einheitsgewerkschaft, mit einer kapitalismuskritischen Perspektive in der Gewerkschaft nicht sofort in die Spielecke für Hofnarren und Freaks verwiesen zu werden. So lassen sich auch die eine oder andere Irritation in der Anfangsphase gut abfedern, wenn die Teilnahme an einem gewerkschaftlichen Treffen nicht als ernstgemeintes Signal verstanden wird, sondern Ärzt*in freundlich, vereinzelt auch befremdet, darauf hingewiesen wird, dass es sich hier übrigens um die Pflegegewerkschaft handelt, während die Ärzt*innen sich doch beim Marburger Bund treffen. Es kann auch etwas Zeit brauchen, bis man – gerade als Ärzt*in – unter seinen Vertrauensleuten Akzeptanz findet. Die Alltagserfahrung, dass Ärzt*innen auf Station Anordnungen treffen, wirft folgerichtig die Frage auf, worauf sich der Vertrauensleutekreis jetzt einzustellen hat, wenn wir dort auftauchen.
Meine Erfahrung war: Die anfängliche Verkrampfung löst sich in der gemeinsamen Praxis, wenn sich über die Probleme an den Arbeitsplätzen ausgetauscht wird, über Gruppen von Kolleg*innen, die per Outsourcing abserviert werden sollen, über eiskalte Entscheidungen von oben oder Gleichgültigkeit auf kollegialer Ebene, über Rechtsbrüche im Unternehmensalltag oder die große gewerkschaftspolitische Linie. In ver.di öffnet sich auch eine Tür zu gewerkschaftlichen Bildungs- und Seminarangeboten, die den Blickwinkel erweitern und auch mal Raum geben können für Kreatives und Utopisches.
Wie viel politische Radikalität steckt also in ver.di? Ja mei – bunt ist auch die Einheitsgewerkschaft. Divergente politische Positionen, vielerorts konstruktives, mancherorts destruktives Klima, viel Diskussion, vereinzelt ideologische Kämpfe. Die Spanne geht vom linksradikalen Habitus – wie eine Monstranz vor sich her getragen, bis zu sozialpartnerschaftlicher Kungelei in Mitbestimmungsgremien, die in gespielter Harmlosigkeit zu verdrängen suchen, dass hinter jedem Sachzwang und jedem faden Kompromiss doch Klassenverhältnisse hervorleuchten.
Gegenmacht benötigt profundes, auch juristisches Wissen über die zur Verfügung stehenden Instrumente in der betrieblichen Mitbestimmung, wie ein Werkzeugkasten oder halt ein Waffenarsenal. Die Gegenseite, im Jargon der Sozialpartnerschaft »Betriebspartner« genannt, hat mehr Ressourcen zur Verfügung, auch mal fiese externe Berater*innen, weiß vorgeblich wenig über die juristischen Regeln oder will jedenfalls nichts davon wissen, provoziert, beugt und bricht Regeln. Schon Legalität durchzusetzen ist oftmals auch im Krankenhaus ein Kraftakt, aber nicht nur unbedingt notwendig, sondern auch effektiv – wenn das Mitbestimmungsgremium sich einig ist und bei Bedarf auch mal beinhart kämpft, in der Betriebsöffentlichkeit und auch vor Gericht.
Diese Widersprüche sind auch persönlich fordernd. Auf ehrenamtlicher Basis ist es schwierig, die nötigen Ressourcen aufzubringen und professionell genug zu werden. Sich alternativ als Betriebsrat ganz oder teilweise freistellen zu lassen, schafft solche Spielräume. Dafür leidet aber die Anbindung an den klinischen Betrieb, das Miterleben des aktuellen Geschehens, der Debatten und Konflikte. Wer sich für eine bewegungsorientierte, kämpferische Gewerkschaftspolitik einsetzt, kann nicht leugnen, dass in der Welt der Stellvertreterpolitik, in den betrieblichen Gremiensitzungen der Hals schon mal trocken wird. Unversehens verbringt man kaum noch Zeit in seinem Team, dafür aber umso mehr mit Zipfelklatschern1.
Dass es für Fortschritte unerlässlich ist, Bewegungsorientierung zu leben und dabei Kämpfe zu führen, erlebt interessanterweise auch gerade der Marburger Bund. Er hat mit dem letzten Tarifabschluss (TVÄ-VKA) 2019 neben der Vergütung auch neue Regelungen zur verlässlichen Dienstplanung, zur Begrenzung der Bereitschaftsdienste und zur Arbeitszeiterfassung vereinbart, die weiten Teils von den Arbeitgebern schlicht nicht umgesetzt werden, wie es scheint. Da der Ärzt*innen-Tarifvertrag des mb mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) so etwas wie die tarifvertragliche Leitwährung im ärztlichen Bereich geworden ist, sollten auch wir Ärzt*innen uns schon aufgrund unserer persönlichen Betroffenheit damit auseinandersetzen. Der Strategiewechsel in der Tarifpolitik ist nicht zu unterschätzen, ging es dem mb früher nur um Geld und wurden dafür absurde Arbeitszeitentgrenzungen akzeptiert (»Opt Out«), so geht es jetzt auch um die Vereinbarkeit des Berufs mit dem ganzen Leben. Die nächste Tarifrunde mb-VKA steht im 4. Quartal 2021 an.
Logisch bleibt der mb in den Grenzen einer standespolitischen Lobbyorganisation, die sich darum bemüht, aus der kontraproduktiven Arztzentriertheit im deutschen Gesundheitswesen Nutzen zu ziehen und allgemein die Privilegien für Ärzt*innen zu erhalten. Dass Solidarität anders geht haben wir zuletzt einsehen müssen, als wir 2020 im Bündnis Krankenhaus statt Fabrik mit dem mb-Landesverband Berlin-Brandenburg darüber verhandelt haben, in welcher Form er die Corona-Resolution des Bündnis KsF unterstützen würde.2 Unvereinbar blieben die Positionen zur Privatisierung im Gesundheitswesen. Für den mb war Kritik daran tabu. Anscheinend werden ärztliche Interessen, sich dabei einen Teil der Beute zu sichern, höher bewertet als das gesellschaftliche Interesse an einer gemeinwohlorientierten Gesundheitsversorgung.
Zurück zu ver.di und den Ärzt*innen
Abschließend lohnt sich vielleicht noch ein Wechsel der Perspektive: Nach der Frage, was bringt mir Zugehörigkeit zur und Mitarbeit in der Gewerkschaft, was verändert das, was bedeutet es für mich, nun die Frage: Welche Bedeutung haben wir für ver.di, braucht ver.di solche wie uns? Na klar ist 1% des Bruttogehalts angesichts der ärztlichen Einkommen ein willkommener Beitrag zu den vielfältigen Aktivitäten der Gewerkschaft und übrigens auch zur Streikkasse. Und, auch klar, hat eine Gewerkschaft, die alle Beschäftigten vertreten will, ein Interesse daran, dass sich eben alle Berufsgruppen in ver.di artikulieren und dabei für eine solidarische Gewerkschafts- und Tarifpolitik agieren. In der Fachkommission Ärztinnen und Ärzte3 auf Bundesebene wird zu vielfältigen gewerkschaftlichen tariflichen und politischen Fragen und Problemen ärztlicher Sachverstand angefragt und diskutiert. Unerwartet habe ich in der letzten Tarifrunde im eigenen Krankenhaus eine Lektion gelernt, für welche Position ver.di notwendig Ärztinnen und Ärzte für die Zukunft braucht: für Arbeitskämpfe, für die Abwehr einstweiliger Verfügungen gegen Streikaktionen, für Schlichtungsstellen im Arbeitskampf: Zunächst hatte ich mich nur bereiterklärt, für eine eventuelle Schlichtungsstelle im Streik als Arzt zur Verfügung zu stehen. Unversehens geriet der Kampf um eine verdammte Notdienstvereinbarung, um das legitime Ausmaß betrieblicher Einschränkungen im Streik, konkret das Schließen von OP-Sälen und Stationen, so in den Mittelpunkt des Arbeitskampfes in meinem Krankenhaus, dass ich in die Streikleitung eingetreten bin, um die Streikmaßnahmen abzusichern. Für den Erfolg von Arbeitskampfmaßnahmen ist eben mitunter die Beteiligung von Kolleg*innen an Schlüsselstellen wichtig. In anderen Betrieben mag es das Rechenzentrum sein, im Krankenhaus kann ärztliche Solidarität wichtig sein. Gegen eine ärztliche Einschätzung, wieviel Personal für die Sicherstellung der Notdienstversorgung wirklich notwendig ist, kann der Arbeitgeber nur schwer argumentieren.
Aber am Ende geht es auch als Ärzt*in in ver.di als erstes ums Anfangen. Das Weitere findet sich dann schon – auf die eine oder auf die andere Weise.
Peter Hoffmann arbeitet als Anästhesist in einem städtischen Krankenhaus in München und ist Mitglied des erweiterten Vorstands des vdää.
- Bayrische Mundart, vulgär, aber nicht besonders. Ein Zipfelklatscher ist eigentlich ein Schimpfwort. Es kommt dabei auf den Tonfall an.
- https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/53194
- https://gesundheit-soziales.verdi.de/ueber-uns/gremien/fachkommission-aerztinnen-und-aerzte
(Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Gewerkschaftliche Organisation im Gesundheitswesen, Nr. 1, März 2021)