GbP 2-2020 Helmers / Kleinemeier

Verschärfung der sozialen Kluft

Kai-Uwe Helmers und Anke Kleinemeier über private Studiengänge Humanmedizin in Hamburg und die Reaktionen auf ihre Kritik daran

Kai-Uwe Helmers und Anke Kleinemeier haben im Hamburger Ärzteblatt 10/2019 einen Artikel veröffentlicht zu inzwischen drei Möglichkeiten allein in Hamburg, an privaten Hochschulen Medizin zu studieren. Wir dokumentieren diesen Artikel hier zusammen mit einer Zusammenfassung der – zum Teil heftigen und von einem der drei privaten Träger anscheinend lancierten – Reaktionen darauf im HÄB 11 und 12/2019 und der abschließenden Stellungnahme der Autor*innen, die diese im HÄB 12/2019 ebenfalls veröffentlicht haben.

Anfang 2019 hat der Senat in Hamburg die Zulassung für einen Medizinstu­dien­gang an der privaten Medical School Hamburg (MSH) erteilt. Zusätzlich wird die UMCH (Universitätsmedizin Neumarkt am Mieresch Campus Hamburg) im September 2019 die ersten Medizinstudierenden aufnehmen. Neben der Universität Hamburg bestehen somit nun drei weitere Möglichkeiten des ­Medizinstudiums an privaten Hochschulen – MSH und UMCH als auch die Semmelweis Universität. Die Semmelweis Universität in Budapest hat für den klinischen Teil eine Asklepios Medical School GmbH eingerichtet, so dass Studierende nun die Vorklinik in Budapest machen müssen und danach in Hamburg studieren können. Bei der MSH sind als Lehrkrankenhäuser die Kliniken in Schwerin vorgesehen. Die Zulassung wurde vom Wissenschaftsrat empfohlen »nach ausführlicher Prüfung«, wobei in diese Prüfung nur einfließt, »ob es sich bei der zu prüfenden Einrichtung um eine Hochschule handelt, an der Leistungen in Lehre und Forschung erbracht werden, die anerkannten wissenschaftlichen Maßstäben entsprechen«. Die Zulassung der Studierenden zu einer solchen Hochschule ist nicht Gegenstand der Prüfung, d.h. diese obliegt dem Ermessen der Hochschule. Das bedeutet, es wird nicht beschrieben, wie die Auswahl der Studiereden erfolgen soll.

Bei der MSH betragen die Kosten 1.500 Euro monatlich bis zum Praktischen Jahr (PJ), im PJ beträgt die Gebühr dann monatlich 300 Euro. Das bedeutet für die ersten Jahre eine Gebühr von 18.000 Euro pro Jahr. Damit wird die soziale Herkunft zum Auswahlkriterium und bestimmt, welche Studierenden hier Medizin lernen dürfen. Bei der Semmelweis Universität im Zusammenhang mit der Asklepios Medical School kostet es 7.800 Euro pro Semester bzw. 15.600 Euro pro Jahr. In beiden Fällen wird somit deutlich, dass es sich um eine Möglichkeit des Medizinstudiums für Menschen mit großen finanziellen Ressourcen handelt. Da in den staatlichen Universitäten für einen sofortigen Medizinstudienplatz ein Numerus Clausus (NC) von 1,0 bis 1,2 notwendig ist, während bei einer schlechteren Abiturnote Wartesemester anfallen oder gar eine andere ­Studienwahl erforderlich wird, dürfen ­Menschen mit viel Geld auf private Universitäten ausweichen.

Gesundheitsversorgung ist neben Ernährung, Bildung und Wohnen ein Grundrecht. Es ist nicht ausreichend untersucht, wie sich später Ärzt*innen, die an einer von ihnen bzw. ihren Eltern finanzierten Medizinhochschule studiert haben, in Bezug auf den medizinischen Moralkodex in der Versorgung der Allgemeinheit verhalten werden. Es ist aber zu befürchten, dass von denen, die dann »viel investiert haben«, einer medizinischen Versorgung unter marktwirtschaftlichen statt sozialen Kautelen weiter Vorschub geleistet wird. In einem Artikel von 2019 zur sozialen Herkunft von Humanmediziner*innen schreibt Lisa Richter: »Medizinstudierende und Ärzt*innen entstammen überdurchschnittlich oft aus sehr gut ausgebildeten akademischen Elternhäusern bzw. hohen so­zialen Schichten. Sie bringen in der Regel durch ihre Sozialisation spezifische Weltanschauungen und Ressourcen mit, die sich auch in der Arzt-Patienten-Beziehung ausdrücken können. Hierbei muss zum einen berücksichtigt werden, dass sowohl die eigene Sozialisation, als auch die professionsspe­zifische Sozialisation als Arzt bzw. Ärz­tin, sowie die sozialen Hintergründe der Patient*innen eine Rolle spielen. Problematisch wird eine elitäre Ärzteschaft an der Stelle, an der sie den ­Zugang zu wichtigen Ressourcen gefährdet. Ärzt*innenseitig ist das der ungleichmäßige Zugang zur ärztlichen Ausbildung und damit zusammenhängenden Zugängen zum berufsspezifischen sozialen Prestige und Einkommen. Patient*innenseitig ist das die mögliche Einschränkung einer bedürfnisgerechten Behandlung durch die soziale Entfernung von den behandelnden Ärzt*innen.”1 Diese beschriebenen Zustände werden sich durch die Etablierung privater Hochschulen zuspitzen.

Die Geschichte von Studiengebühren in der Bundesrepublik Deutschland macht deutlich, dass es bis 2005 ein Hochschulrahmengesetz (HRG) gab, welches allgemeine Studiengebühren ausschloss. Gegen dieses Gesetz klagten erfolgreich die unionsgeführten Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt, die darin einen unzulässigen Eingriff des Bundes in die Gesetzgebungskompetenz der Länder im Kultusbereich sahen. Das Bundesverfassungsgericht gab diesen Ländern am 26. Januar 2005 Recht und so wurde ab 2006 in fast allen Bundesländern Studiengebühren in unterschiedlicher Höhe eingeführt. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR – kurz: UN-Sozialpakt genannt), den auch Deutschland 1973 unterzeichnet hat, fordert dass »der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss« (Art. 13.2.c). Damit soll das kulturelle Menschenrecht auf Bildung gewährleistet werden. Durch die Einführung von Studiengebühren wird dieses Menschenrecht ausgehöhlt.

Auch eine rotgrün-geführte Bundesregierung konnte trotz anderslautender Versprechen keine anderen Akzente setzen. Das Aktionsbündnis gegen ­Studiengebühren (ABS) entstand im April 1999 als Protest gegen die mangelnde Entschlossenheit der damaligen rot-grünen Bundesregierung, ihr Wahlversprechen eines bundeseinheitlichen Studiengebührenverbotes in die Tat umzusetzen. Das ABS tritt auf grundsätzlicher Ebene für eine umfassende Gebührenfreiheit des Hochschulstudiums ein: »Studiengebühren sind aus gesellschafts-, sozial- und bildungspolitischen Gründen abzulehnen. Sie lösen kein einziges Problem, sondern verschärfen die Krise des Bildungssystems.«

In Bezug auf private Hochschulen ist aus unserer Sicht somit zu kritisieren:

  • dass der Zugang zum Studium der Humanmedizin noch stärker als bisher von der sozialen Herkunft abhängig wird;
  • dass private Universitäten mit Studiengebühren soziale Notwendigkeiten (z.B. den Bedarf an qualifizierten Ärzt*innen) privatisieren und damit gesellschaftliche Kosten auf den Einzelnen abwälzen;
  • dass Studiengebühren schon vorhandene gesellschaftliche Ungleichheiten reproduzieren und schon ­vorhandene soziale Selektionswirkungen des Bildungssystem verstärken;
  • dass Studiengebühren den Status der Studierenden von dem eines Universitätsmitglieds zu dem eines Kunden verringert (das heißt auch, der Entwurf einer teils partizipatorisch (selbst-)verwalteten, grundsätzlich demokratisch orientierten Gemeinschaft wird ersetzt durch eine Art kommerzielles Vertragsverhältnis);
  • dass die Studiengebühren, wie sie von den beiden privaten Universitäten in Hamburg erhoben werden, einer Entsolidarisierung entsprechen und Ausdruck eines unsozialen Bildungsverständnisses sind.

Daher rufen wir alle gesellschaftlichen Kräfte auf, sich für ein Verbot von Studiengebühren einzusetzen. Speziell die Humanmedizin ist ein sehr beliebtes Fach, in dem erheblich weniger Menschen studieren können, als sich bewerben. Den Zugang über hohe Kosten anstelle von sozialen und fachlichen Kriterien zu regeln, widerspricht einem verantwortungsvollen, demokratischen und sozialen Handeln. Darüber hinaus ist es ein völlig falsches Signal, wenn wir dem Ärzt*innenmangel mit privaten Universitäten entgegenwirken und somit das elitäre Bild dieses Berufes verfestigen. Wir brauchen eine Erweiterung der Studienplätze ohne Stu­dien­gebühren und einheitliche Aufnahmekriterien und einen Zugang der unter anderem dadurch die soziale Herkunft sensibel berücksichtigt.
Kai-Uwe Helmers ist Allgemeinmediziner in Hamburg, und Anke Kleinemeier ist Frauen­ärztin in Hamburg; beide sind Mitglieder der vdää Regionalgruppe Hamburg.

Anmerkung:

(1) Lisa Richter: »Bleibender sozialer Abstand. Die soziale Herkunft von Humanmediziner*innen und die Arzt-Patienten-Beziehung«, in: Gesundheit braucht Politik, 2/2019

Der Sturm im Wasserglas

Zusammenfassung Leser*in­nen­briefe im Hamburger Ärzteblatt 11 und 12/2019 durch die Redaktion von GbP

Der Artikel hatte offensichtlich einen Nerv getroffen bei Ärzt*innen wie Verantwortlichen an diesen privaten Hochschulen und in entsprechenden Kreisen viele Diskussionen ausgelöst. Das Hamburger Ärzteblatt hat Auszüge aus nahezu allen Leser*innenbriefen1 veröffentlicht und es dabei unterlassen, moderierend zu agieren, sondern auch – entgegen sonstiger Gepflogenheiten – tendenziell diffamierende Äußerungen veröffentlicht. Es ist ferner nicht kommentiert worden, dass es sich bei den Zuschriften teilweise um eine Art Gegenkampagne des Asklepios Campus gehandelt hat.
Die überwiegende Mehrheit der Leser*innenbriefe übt heftige Kritik. Ein mehrfach genannter Punkt ist die Behauptung, dass Private Unis eine Re­aktion auf Staatversagen seien. Die meiste Kritik wird daran geübt, dass der Artikel die Frage stellt, ob die hohen Studiengebühren gute Voraussetzungen seien, um Studierende mit hoher sozialer Kompetenz zu gewinnen. Die Autor*innen stellten, so die Behauptung von auffallend vielen Studierenden des Asklepios Campus, die moralische Integrität der Studierenden infrage. Das scheint einigen richtig weh zu tun. Auf das eigentliche Argument des Textes geht aber kaum einer der Beiträge ein.

Auch die Studierendenvertretung des Asklepios Campus Hamburg ver­teidigt ihren »Berufsstand« mit wohlgesetzten Worten und u.a. versuchen sie, die Argumentation zu widerlegen, indem sie bestreiten, dass man von Hause aus viel Geld haben müsse, um dort zu studieren, weil es auch Kreditmodell gibt. Ebenfalls eine Medizinstudentin am Asklepios Campus versucht, die Frauenkarte zu spielen und meint, dass es gerade für Frauen einen großen Unterschied mache, ob sie mit Mitte zwanzig oder Anfang dreißig in das Berufsleben starteten: »Das haben besonders alte, weiße Männer häufig noch nicht verstanden«. Ein anderer Medizinstudent am Asklepios Campus hat seinen Kopf noch nicht recht unter Kontrolle und wittert standesbewusst Rufmord: »Neben Wut und Empörung verspürte ich nach dem Lesen dieses Artikels eine Scham, welche sich meiner Meinung nach zu Unrecht in meinem Kopf ausbreitete … Wut und Empörung sind nicht nur das Resultat Ihres Artikels, sondern auch der Tatsache geschuldet, dass eine eigentlich renommierte Fachzeitschrift einen solch unfundierten, unreflektierten, subjektiv verfassten Artikel veröffentlicht. Diese von Ihnen getätigte Publikation gleicht einem Rufmord, welcher nicht nur das Image der Universitäten, sondern auch ihrer Studenten und zukünftigen Ärzte beschmutzt«. Das HÄB ermöglichte es Kai Uwe Helmers und Anke Kleinemeier, noch in dieser Ausgabe auf die Reaktionen zu antworten. Wir dokumentieren auch dies:

Antwort von Kai-Uwe Helmers und Anke Kleinemeier

Der Zugang zum Medizinstudium sollte sozial gerecht gestaltet werden. Ungleichheiten sollten nicht noch vertieft werden, wie es durch die privaten Studiengänge der Fall ist. Dies hat eine besondere Bedeutung vor dem Hintergrund, dass dieses Studium eines der beliebtesten ist und die Zahl der Bewerbungen auf die zu wenigen Stu­dienplätze sehr hoch ist. Es kommen etwa 5 Bewerbungen auf einen freien Studienplatz. Es sollte die Aufgabe der Politik unter Begleitung der demokratischen Öffentlichkeit sein, Kriterien für diesen Zugang weiter zu entwickeln. Die neuen Regelungen, die 2020 in Kraft treten, sind diesbezüglich eine verpasste Chance, wenn auch Spielraum bestehen bleibt. Da dieses Thema zu wenig Beachtung erfährt, haben wir dazu zu allererst hier im Hamburger Ärzteblatt veröffentlicht.

Annähernd alle Äußerungen zu unserem Artikel dazu bestätigen die Kritik an dem gegenwärtigen Status quo. Auch der gegenwärtige Status quo, unabhängig von den privaten Studiengängen, vertieft den ungleichen Zugang zum Studium und zur Bildung im Allgemeinen. Die Ungleichheiten haben leider in den letzten Jahrzehnten zugenommen.

Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Ökonomisierung sowohl der ambulanten wie auch der stationären Medizin ist aus unserer Sicht daher von besonderem Interesse, das Soziale in der Medizin zu stärken. Approbierte Ärzt*innen sollten nicht mit einer hohen Verschuldung in das Berufsleben starten und somit gezwungen werden, ökonomische Überlegungen priorisieren zu müssen.
Nicht die Studierenden an den privaten Studiengängen kritisieren wir, sondern die Strukturen. Ohne Frage können Strukturen Sozialverhalten positiv aber auch negativ beeinflussen. Kritische Anmerkungen dazu müssen erlaubt sein und so ist es aus unserer Sicht erfreulich, dass es einigen Studierenden ein Anliegen war, ihre soziale Motivation deutlich zu machen. Hier ist auch ein Missverstehen wollen von anderer Seite zu vermuten, um vom Eigentlichen abzulenken.

Ein Zugang zum Studium, der damit beginnen muss, sich über die Finanzierung Gedanken zu machen, schließt bestimmte Personenkreise aus. Auch Finanzierungsmodelle mittels Kreditvergabe stellen eine hohe Hürde dar und das insbesondere für Menschen aus ärmeren Verhältnissen. Wenn wir betrachten, dass viele Kolleg*innen beispielsweise eine Niederlassung scheuen, da ihnen das finanzielle Risiko zunächst unberechenbar scheint – wie fühlt sich dann jemand ohne Geld vor der Aufnahme eines Studiums der Humanmedizin! In diesem Zusammenhang von Sozialneid zu schreiben, trifft den Punkt nicht, führt eine unangemessene persönliche Ebene in die Debatte ein und lenkt damit vom Thema ab. Darüber hinaus stellen wir nicht die Ausbildung in Deutschland und insbesondere die Ausbildung an der Hamburger Universität in Frage, die neben einer herausragenden Ausbildung und einer exzellenten Forschung auch wichtige Aspekte in der Patientenversorgung übernimmt. An der Universität Hamburg gibt es darüber hinaus großes demokratisches und zivilgesellschaftliches Engagement und Partizi­pation durch die Studierenden. Die öffentlichen Universitäten sind ein hohes gesellschaftliches Gut. Die Kritik, die an der Universität geäußert wurde, wird all diesen Aspekten nicht gerecht.

Nicht dem Markt oder dem Engagement privater Universitäten sollte es überlassen werden, ausreichend Nachwuchs auszubilden. Daher sollten ­ausreichend viele Studienplätze geschaffen werden. Prognosen, die auch aktuelle Vorstellungen zu einer gewünschten Work-Life-Balance berücksichtigen, kommen zu einem deutlich höheren Bedarf. Auch eine mögliche Rückkehr der Studierenden aus anderen Ländern sollte geregelt und ggf. erleichtert werden.

Bildung ist eine öffentliche Aufgabe und sollte das auch eine bleiben. Statt Studiengebühren und NC sollten einerseits Kriterien wie soziales Engagement und Berufsausbildungen, andererseits aus unserer Sicht die soziale Herkunft zukünftig stärker berücksichtigt werden. Erfahrungen aus der Gleichberechtigungspolitik haben gezeigt, dass Quoten dazu ein gangbares und effizientes Mittel sein können. Die vielen, die aus widrigen sozialen Umständen zukünftig keinen Studienplatz erhalten und bisher keinen erhalten haben, werden kaum gesehen. Daher ist es uns ein Anliegen, für diese die Stimme zu erheben. In den Zugangsregelungen werden den Bundesländern und den einzelnen Universitäten Spielräume zugestanden, die auch dafür genutzt werden könnten.

Anmerkung:

(1) Nachzulesen hier: https://www.aerztekammer-hamburg.org/archiv_hamburger_aerzteblatt.html

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Ausbildung Gesundheitsberufe, Nr. 2 Juni 2020)

 


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