Privileg der Freiberufler
Ray Novak zur Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung
Der Aufruf, bei fossilen Energien zu de- und in erneuerbare Energien zu reinvestieren, den auch der vdää unterzeichnet hat (siehe diese Ausgabe Seite 26), wurde in der Mitgliedschaft nicht nur wohlwollend aufgenommen, sondern provozierte bei manchen Mitgliedern auch Kritik: Für Ray Novak ist das »grünere Standespolitik«, die in die falsche Richtung geht. Er ruft auf, es ihm gleichzutun und der Gesetzlichen Rentenversicherung beizutreten.
Wer kennt es nicht: Das Examen ist gerade geschrieben, der Kopf brummt noch von den Kreuzchenfragen und vor der Türe warten schon die Vertreter von »Ärzteversicherungen«, privater Krankenkasse und berufsständischen Organisationen, um ihre Werbeartikel loszuwerden. Es geht die Mär, dass man als ÄrztIn in Deutschland »natürlich« in einem berufsständischen Versorgungswerk seine Altersvorsorge einzahlt. Tritt man eine neue Stelle an, legt einem die freundliche KollegIn aus der Personalabteilung am ersten Arbeitstag »natürlich« sofort die Austrittserklärung aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf den Tisch. Die KollegIn ist seit Jahren nichts anderes gewohnt. Man selbst ist froh, will mit dem ganzen Rentenkram eh nichts zu tun haben...
So zahlt man in die Ärzteversorgung ein und erfährt einmal im Jahr davon, welch glorreiche Aussichten einem im Alter winken.
Das erste Mal wird man mit der Frage nach politischer Haltung oder gesellschaftlicher Moral belästigt, wenn auf einer Party einer der Freunde einem von der Seite kommt und sehr genau nachfragt, warum man sich von ihm und den anderen 90 Prozent der Bevölkerung abgrenzt und seine Rente nur aus einem Pott mit Gutverdienern bestreiten will. Zu dieser Unverfrorenheit will einem erstmal nichts Rechtes einfallen. Man braucht sich hier doch wohl nicht zu rechtfertigen. Falls doch, greift man auf die Argumente seines Standes zurück. »Einen hohen Leistungsstandard kann nur der Berufsstand erbringen, in dem der Einzelne gegen die Risiken des Lebens ausreichend abgesichert ist.« (Bayerische Ärzteversorgung)
Richtig wohl ist einem dabei erstmal nicht, denn wollen nicht auch die Pflegekraft und die KassiererIn gegen die Risiken des Lebens abgesichert sein?
Aber im Laufe des Berufslebens gewöhnt man sich schon daran, der »bessere Arbeitnehmer« zu sein. Platz, um sich ständischen Dünkel anzugewöhnen, bieten 40 Jahre im Beruf als Arzt allemal. Doch halt, so schwarz sieht es bei den ÄrztInnen heute gar nicht mehr aus: Viele beginnen sich zu fragen, warum ihr Beruf immer noch so ständisch und arrogant mit den restlichen Oberen zehn Prozent auf die anderen 90 Prozent herabschauen will. Eine dieser vielen Fragen berührt dabei auch die Altersversorgung.
Die gesetzliche Rentenversicherung beruht derzeit auf einer Umlagefinanzierung anhand derer aus dem laufenden Gesellschaftseinkommen die Aufgaben der Altersvorsorge bestritten werden. Ihre heutige Form wurde in harten sozialen Auseinandersetzungen geformt und hat nach wie vor einiges an Verbesserungsbedarf. In der ursprünglichen Version die von Gewerkschaften und Arbeiterbewegung favorisiert wurde sollte die »Gesamtheit aller Arbeitstätigen« einbezogen werden, auch die »selbstständigen Arbeitstätigen«, wobei die Einkommensgrenze der Versicherungspflicht aufgehoben werden sollte. Die gesetzliche Rentenversicherung sollte damit auf ein möglichst großes Fundament gestellt werden, »um die Stetigkeit ihrer Rechnungsgrundlagen über alle möglichen Strukturveränderungen der Wirtschaftsgesellschaft und ihrer Zusammensetzung nach Beruf und Erwerbsart« sicherzustellen. Die Konservativen begrenzten das System indem Arbeitnehmer mit höherem Arbeitseinkommen nur mit Beiträgen bis zur Beitragsbemessungsgrenze einzahlen, Ausnahmen für einkommensstarke »freie« Berufsstände eingeführt wurden sowie Selbstständige und Beamte gänzlich von der Beitragspflicht ausgenommen sind.
»Freie Berufe« also im Regelfall gutverdienende Berufsgruppen, die sich selbst der Oberschicht zugehörig fühlen wie Steuerberater, Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Apotheker und Wirtschaftsprüfer haben sich in der Geschichte das Recht bzw. das Privileg erstritten, sich jenseits des Rests der Werktätigen abzusichern.
Damit sind die berufsständischen Versorgungswerke ein Kuriosum in der deutschen Altersvorsorge. Ebenso wie die privaten Renten- oder Kapitallebensversicherungen basieren sie auf dem Kapitaldeckungsprinzip, d.h. dass die Versorgungswerke die Beiträge ihrer Mitglieder einsammeln und dann wie eine Kapitalgesellschaft investieren. Durch das so genannte offene Deckungsverfahren wird dieses Prinzip mit einer Umlagefinanzierung gemischt und die Kapitalanlagen unterliegen dem Versicherungsaufsichtsgesetz. Um genügend Nachschub an Kapital zu haben, wurde die Pflichtmitgliedschaft eingeführt.
Es findet sich je nach Versorgungswerk ein bunt gemischtes Portfolio mit Staatspapieren, Immobiliengeschäften, bis hin zu Aktien-, Hedge- und Private Equity Fonds. Die ÄrztInnen bezahlen letztlich Investoren, die mit ihrem Geld versuchen, am Markt mehr Geld durch Anlagen erwirtschaften zu lassen. Damit verbunden sind u.a. auch die Risiken dass das Kapital z.B. im Falle von Krisen und Bankrotten verloren geht.
Im Gegensatz dazu sind in der allgemeinen umlagefinanzierten Rentenversicherung die Mittel dem Zugriff des profiterwirtschaftenden Verwertungskreislauf entzogen.
Wie kam der ärztliche Berufstand darauf, sich auf dieses Parallelsystem einzulassen? Die Antwort ist so einfach wie erschreckend. Man setzt darauf, dass, wenn man unter sich Einkommensstarken bleibt, der Durchschnittsgewinn besser ist, als wenn man in einem Topf mit Otto-Normalverdiener gemeinsam seine Rente bezieht.
Ein Blick auf die aktuellen Einkommen 2015 mag dies verdeutlichen:
• Durchschnittliches Bruttoeinkommen Gesamt: 31.981 h
• Durchschnittliches Bruttoeinkommen Ärzte: 77.951 h (www.welt.de/wirtschaft)
Das, was man im Verhalten »Standesdünkel« nennt, findet hier seine Entsprechung im Geldbeutel und eben auch in der Rentenversicherung. Es ist nicht nur so, dass einige Berufsstände denken, sie seien etwas Besseres. Nein, sie haben sich auch rechtliche Bereiche geschaffen, wo sie es ganz real auch sind. Gleichzeitig sinkt damit der durchschnittliche aktuelle Rentenwert in der allgemeinen Rentenversicherung, wenn die Gutverdiener sich aus dem Staub machen.
Mittlerweile gibt es Initiativen von ÄrztInnen, den Versorgungswerken bei der Anlage genauer auf die Finger zu schauen. Es soll ökologischer und nachhaltiger investiert werden. Eine – auch vom vdää unterstützte – Initiative wendet sich aktuell gegen Beteiligungen an Unternehmen, die mit fossilen Brennstoffen arbeiten, in Sorge um die CO2-Bilanz. Gleichzeitig wird betont: »Es geht nicht nur um ethische Argumente. Immer mehr sprechen auch ökonomische Gründe gegen Anlagen im fossilen Bereich. Sie drohen auf Grund einer aktiven Klimaschutzpolitik und veränderter Prioritäten großer Investoren zunehmend an Wert zu verlieren. Die Versorgungswerke dürfen aus ihrer Verpflichtung, für eine nachhaltige Rendite zur Sicherung der Renten Ihrer Mitglieder zu sorgen, dieses Risiko nicht ignorieren« (Bundesweiter Aufruf von Ärztinnen und Ärzte an ihre Versorgungswerke).
Wenn die Kritik dabei stehen bleibt, dass Standespolitik bitteschön »grünere Standespolitik« sein soll, geht sie meines Erachtens in die falsche Richtung.
Das Hauptproblem ist die Trennung vom Rest der Gesellschaft und die Hinwendung zu einem kapitalgesteuerten Finanzierungssystem. Der Kampf für ein besseres, gerechteres, moderneres allgemeines Rentensystem dürfte den meisten ÄrztInnen ziemlich egal sein, solange sie selbst in einem auf Gewinnerzeugung ausgelegten Parallelsystem stecken. Was also tun?
Ständische Parallelsysteme abschaffen lautet die politische Forderung!
Dies ist die einzige Option die tatsächlich etwas bewegen kann. Es ist zudem zumindest in Bayern möglich, dem Parallelsystem ein Schnippchen zu schlagen. Ja, wir sind Pflichtmitglieder. Aber wir sind nicht direkt verpflichtet, dort unsere Rente zu zahlen. Das, was uns als »natürlich« verkauft wird, ist ein aktiver Akt. Wir treten aktiv per Unterschrift aus der allgemeinen Rentenversicherung aus.
Gerade für die angestellten KollegInnen gibt es – zumindest in manchen Bundesändern – einen Alternativweg. Tretet einfach nicht aus!
Dann nämlich geht die Rentenzahlung weiter in die GRV. Ihr seid also mit dem Rest der Gesellschaft in einem umlagefinanzierten moderneren System organisiert. Ihr habt keine Standesvorteile und Ihr betrügt nicht Eure Eltern, Freunde und Mitbürger (außer es sind alles ÄrztInnen) um Euren Anteil in der Solidargemeinschaft. Für Euch heißt das, dass Ihr Euch plötzlich Gedanken machen müsst, wie die GRV weiter entwickelt werden soll. Denn verbessert werden muss sie allemal.
Die Pflichtmitgliedschaft in der ständischen Ärzteversorgung ist allerdings leider nicht ganz zu umgehen. Den Mindestbeitrag von z.B. 68 Euro/Monat (Bayerische Ärzteversorgung 2015) müsst Ihr zähneknirschend abdrücken. Solange bis die Pflichtmitgliedschaft oder besser gleich das ganze Ständesystem abgeschafft wird, kommt Ihr darum wohl nicht herum. Aber wenigstens können die Versorgungswerke mit dem Beitrag keinen großen Unfug, ob CO2 neutral oder nicht, anstellen und ihr bekommt eine kleine Zusatzrente (für die, die befürchten in der GRV am Hungertuch zu nagen).
Natürlich sind dies Ratschläge, die nicht gleich die Welt verändern – und dies muss man fairerweise sagen: die für jemanden, der oder die schon 25 Jahre in das ständische Versorgungswerk eingezahlt hat, finanziell problematisch sein können.
Aber gerade für Berufsanfänger stehen sie in einer Reihe mit der Entscheidung, sich in der Gewerkschaft für alle Werktätigen oder in einer Ständevertretung für nur eine Berufsgruppe zu engagieren, in der gesetzlichen Krankenversicherung zu bleiben oder in die Private zu wechseln usw.
Beileibe keine Revolution sondern wie so oft eine Frage der Moral und des politischen Anstands im 21. Jahrhundert.
Ray Novak ist vdää-Mitglied und Arzt im Süden Bayerns.
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Ärztliche Standesorganisationen, 1/2016)