Aufklärung weiter nötig
Reaktionen auf den Artikel über Gerhard Domagk
Wir dokumentieren hier zwei Leserbriefe zu Hartmut Bettins Artikel über die zwei Seiten der Sulfonamid-Forschung und den Nobelpreisträger Gerhard Domagk in Gesundheit braucht Politik, Nr.4/2015 und die Antworten von Hartmut Bettin und Wulf Dietrich.
Sehr geehrte Damen und Herren,
zu diesem Artikel sehe ich mich gedrängt, folgendes zu bemerken: Meinem Empfinden nach der Lektüre dieses Artikels ist die Haltung von Prof. Domagk nicht klar erkennbar. Immerhin wurde er verhaftet und hat sich sicher danach entsprechend öffentlich zurückgehalten. Aus heutiger Sicht ist leicht zu sagen, er hätte klar Stellung nehmen sollen. Es ist durchaus glaubhaft, dass er erst 1948/49 von diesen KZ-Versuchen erfuhr. Stillschweigen und Zurückhaltung war lebensnotwendig während der Nazi-Herrschaft, andernfalls drohte KZ-Haft. Mir fehlen persönliche Dokumente wie Briefe, – die es möglicherweise nicht gibt, – um Domagk’s Haltung angemessen) beurteilen und würdigen zu können. Verhindern hätte er solche KZ-Versuche keinesfalls können.
Mit freundliche Grüßen
Dr. med. Frieder Meier-Metz
Sehr geehrter Herr Dr. Meier-Metz,
vielen Dank für Ihre Anmerkungen zu meinem Artikel. Letztlich finde ich Ihr Fazit, dass die KZ-Versuche keinesfalls zu verhindern gewesen wären, doch sehr entmutigend.
Die Argumente, dass man von nichts gewusst hätte und wenn doch, nichts hätte machen können, sind mir zu einfach. Sie wurden und werden zu oft und zu schnell vorgeschoben. Natürlich ist es einfach, aus sicherer Distanz den moralischen Zeigefinger zu heben. Aber ich frage mich, wer, wenn nicht angesehene Wissenschaftler wie Domagk, hätte sich in dieser Zeit wirksam gegen derartig grausame und von ihrem Forschungswert ohnehin weitgehend sinnlose Versuche an Menschen stark machen können?
Natürlich war es lebensgefährlich, offen zu protestieren. Aber es gab, wie andere Beispiele beweisen, Wege, um subtilen Widerstand zu leisten und Veränderungen zu erreichen. Ein herausragendes Beispiel für einen sehr mutigen Widerstand ist der Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen gewesen, der sich im August 1941 in einer Predigt gegen die systematischen Tötungsaktionen von Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen (Aktion T4) aussprach. Damit sensibilisierte er die Öffentlichkeit und erreichte, dass dieses Programm (zumindest vorübergehend) eingestellt wurde.
Auch Ferdinand Sauerbruch, der zwar nichts gegen die grausamen Sulfonamid-Experimente unternahm, von denen er nachweislich Kenntnis hatte, protestierte immerhin beim Reichsjustizminister gegen das NS-Euthanasieprogramm. Der kurzzeitigen Inhaftierung Domagks lag indes kein Akt des Widerstands zugrunde, sondern, aus meiner Sicht eher eine naive Unbedachtheit.
Anders als bei Sauerbruch gibt es bei Domagk keine konkreten Beweise dafür, dass er von den Ravensbrück-Versuchen gewusst hat. Allerdings erscheint mir dies nach wie vor recht unwahrscheinlich, da Domagk gerade in der Sulfonamidforschung exzellent vernetzt war. Domagk gehörte zudem 1948, und das habe ich im Artikel noch gar nicht erwähnt, zu den 26 Unterzeichnern eines Gnadengesuchs für einen der Hauptangeklagten im Nürnberger Ärzteprozess, den NS-Generalkommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, Karl Brandt. Brandt, der zudem Gruppenführer der SS, Generalleutnant der Waffen-SS und Begleitarzt Hitlers war, hatte nicht nur Patiententötungsaktionen zu verantworten, sondern war als Koordinator der medizinischen Forschung u.a. auch für die Sulfonamidversuche in Ravensbrück verantwortlich gewesen.
Dieses Engagement Domagks spricht nicht unbedingt dafür, dass er sich kritisch mit seiner eigenen und der Rolle der gesamten deutschen Ärzteschaft in der NS-Zeit auseinandergesetzt hätte. Insofern lässt sich gerade am Beispiel Domagks die Frage der Mitverantwortung einer gesamten Forschergeneration jener Zeit gut diskutieren.
Ich teile die bereits in meinem Beitrag erwähnte Auffassung von Fred Mielke: »Solange wir uns nicht vergegenwärtigen, wie weit wir selbst ›Apparat‹ waren, haben wir nichts, überhaupt nichts getan, um den Toten dieser furchtbaren Zeit jenen Respekt und jene Aufmerksamkeit zu erweisen, die allein die Brutalität, mit der sie überwältigt wurden, für die Zukunft entkräften kann.«
Ethisch angreifbare Forschungen an Menschen gibt es nachweislich leider bis in die Gegenwart. Solche Übertretungen sind am wirksamsten durch eine aktive Auseinandersetzung mit dem Geschehenen zu verhindern, um so das Bewusstsein für unmoralisches und rechtswidriges Verhalten zu schärfen.
Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Bettin
Lieber Kollege Maier-Metz,
vielen Dank für die Zusendung Ihrer Bemerkung zum Domagk Artikel in der letzten Ausgabe unserer Zeitschrift. Sie haben Recht: Domagks Haltung war nicht klar erkennbar. Wir haben diesen Artikel, ebenso wie den Artikel zu Sauerbruch, gerade deshalb ausgewählt, weil es die undifferenzierte Haltung großer Teile des Bürgertums und auch der Wissenschaft war, die der Stabilisierung des Nazi-Regimes diente. Sicher kann niemand heute sagen, wie er sich damals verhalten hätte, deshalb sollte man auch sehr vorsichtig mit seiner Kritik sein. Domagk scheint kein aktiver Nationalsozialist gewesen zu sein, er lebte, wie wir schreiben, »in seiner eigenen Welt der Forschung und Wissenschaft«.Objektiv aber wurden seine Erkenntnisse missbraucht in den KZ-Versuchen. Ob er erst 1946 von diesen KZ-Versuchen erfahren hat, müssen wir so annehmen. Ob Stillschweigen und Zurückhaltung wirklich immer lebensnotwendig waren, lässt sich von heute aus nur schwer beurteilen. Es gibt aber Beispiele dafür, z.B. Bodelschwingh in Bethel, der trotz der Befürwortung der Zwangssterilisation sich aktiv gegen die Morde der T4 Aktion wandte (siehe den Artikel zu Karl Brandt), dass man als Arzt und Wissenschaftler auch seinem Gewissen folgen konnte. Ich denke, in unserem Artikel wurde Domagk und seine Wissenschaft ohne besonders negative Wertung dargestellt.
Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen für das kommende Jahr, Prof. Wulf Dietrich
Hallo!
Danke für den interessanten Artikel über Gerhard Domagk.
In einem Punkt möchte ich dem Text aber widersprechen. Der Autor schreibt am Schluss, dass nachgewiesen werden konnte, dass die IG Farben keine Sulfonamide mehr nach Auschwitz geschickt haben, nachdem sie von den dortigen Menschenversuchen erfahren hat.
Das Unternehmen hat vielmehr ganz bewusst Präparate in dem KZ testen lassen, was Ernst Klee und andere AutorInnen auch dokumentiert haben. Daran ändert auch der Freispruch der IG-Verantwortlichen in dieser Sache bei den Nürnberger Prozessen nichts.
Vielleicht könnten Sie diese Mail an Herrn Bettin weiterleiten.
Gruß, Jan Pehrke (Coordination gegen BAYER-Gefahren)
http://www.cbgnetwork.org/Ubersicht/Zeitschrift_SWB/SWB_2001/SWB_04_01/Menschenversuche/menschenversuche.html
Sehr geehrter Herr Pehrke,
vielen Dank für Ihren Hinweis. Der Briefwechsel der IG Farben mit dem KZ Auschwitz (Dokument NI-7184) war mir bisher nicht bekannt. Konnte die Authentizität dieses Dokuments denn inzwischen bestätigt werden?
Dass die IG Farben-Direktoren als Auftraggeber der Auschwitzexperimente letztlich »im Interesse der amerikanischen Politik zur Sicherung der Ergebnisse aus den medizinischen Versuchen des Chemie-Konzerns für die eigene militärische Forschung« freigesprochen wurden, ist durchaus denkbar.
Tatsächlich hat es eine Reihe von Vertuschungen gerade durch die USA gegeben. Ein anderer bekannter Fall ist der Fall des Luftfahrtmediziners Hubertus Strughold, der von den grausamen Unterkühlungs- und Unterdruckversuchen in Dachau wusste. 1942 hat Strughold an einer wissenschaftlichen Tagung in Nürnberg teilgenommen, auf der die Ergebnisse dieser Menschenexperimente vorgestellt wurden und von der auch im Zentralblatt für Chirurgie berichtet wurde. Zudem ist am Luftfahrtmedizinischen Forschungsinstitut von Strughold unter anderem eine Unterdruckversuchsreihe mit epilepsiekranken Kindern einer psychiatrischen Anstalt durchgeführt worden (Hans-Walter Schmuhl: »Hirnforschung und Krankenmord«, DÄ 2001, S. 45)
Im Rahmen der »Operation Paperclip« vom US-Geheimdienst ist er mit einer Reihe anderer Wissenschaftler im Interesse der amerikanischen Raumfahrtforschung in die USA geholt worden, ohne sich jemals für sein Verhalten in der NS-Zeit verantworten zu müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Bettin
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Ärztliche Standesorganisationen, 1/2016)