Bürgerinnenversicherung
... wie sie sich der vdää vorstellt
Der vdää tritt in seinem Programm für eine paritätische und solidarische Finanzierung des Gesundheitswesens ein. Deshalb fordert der vdää die Einführung einer allgemeinen Bürgerversicherung. Die private Krankenversicherung als Vollversicherung soll abgeschafft werden. Wir dokumentieren hier gekürzte Ausschnitte aus dem Programm des vdää, die sich mit der Krankenversicherung beschäftigen. Wir belassen hier die durchweg weibliche Schreibweise unseres Programms bei.
Das System der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine der tragenden Säulen unseres Sozialsystems. Es beruht auf zwei Prinzipien: der Solidarität und der Parität. Solidarisch soll die Krankenversicherung insoweit sein, als jede Versicherte nach ihren Möglichkeiten, also nach ihrem Verdienst, ihren Beitrag leistet und dann im Krankheitsfall unabhängig von diesem die medizinisch notwendige Behandlung erfährt. Nach der Definition des Sozialgesetzbuches V soll jede Behandlung ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und das notwendige Maß nicht überschreitend sein.
Grenzen von Solidarität und Parität
Dieser Solidarität waren schon immer Grenzen gesetzt: Die Beitragsbemessungsgrenze legt fest, bis zu welchem Verdienst ein Einkommen prozentual zum Beitrag herangezogen wird, und die Versicherungspflichtgrenze definiert den Übergang zur möglichen Befreiung aus der gesetzlichen Versicherung und die Möglichkeit einer privaten Krankenversicherung beizutreten. Hohe Einkommen werden also prozentual niedriger belastet als geringe Einkommen und sehr hohe Einkommen sind von der gesetzlichen Versicherung befreit. Auch Zins-, Kapital- und Mieteinnahmen werden bei der Beitragsbemessung nicht berücksichtigt. Die Solidarität war also immer schon eine Solidarität der Armen, Schwachen und Mittelschichten, während sich die Gutverdienenden und die Beamtinnen dem System entziehen konnten.
Paritätisch sollte das System insofern sein, als Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen zu gleichen Anteilen an den lohnbezogenen Beiträgen beteiligt werden. Natürlich stellt auch der Arbeitgeberinnenanteil einen Teil des Lohnes dar. Doch zwingt dieser Anteil die Arbeitgeberin, sowohl die Gesundheit »ihrer« Beschäftigten als auch die Kosten des Gesundheitswesens im Auge zu behalten.
Gesundheitsfonds
Durch die Einführung des Gesundheitsfonds wurde ein einheitlicher Beitragssatz für alle gesetzlichen Krankenkassen geschaffen. Seine Einrichtung ist deshalb zu begrüßen. Abzulehnen ist, dass Versicherte einseitige Zusatzbeiträge leisten müssen, wenn ihre Kasse nicht mit den zugewiesenen Beiträgen zurechtkommt. Die Auszahlung aus dem Gesundheitsfonds an die Kassen erfolgt unter Berücksichtigung eines morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA), d.h. je höher die Morbidität der Versicherten ist, desto höher ist die Auszahlung. Die Morbidität einer Patientin ist aber nur schwer objektiv zu erfassen. So kann eine insulinpflichtige Diabetikerin gut eingestellt und komplikationsfrei leben, während eine andere Versicherte mit leichtem Diabetes schwer zu therapieren sein kann, wobei hier besonders die soziale Situation der Patientin eine Rolle spielt.
Die über den Morbi-RSA praktizierte Art des Ausgleichs verführt die Kassen dazu, sich möglichst »gesunde« Kranke als Versicherte auszusuchen. Da der RSA nicht objektiv ist und zudem nur mit bürokratischem Aufwand gehandhabt werden kann, lehnt der vdää diesen Ausgleich und seine weitere Verfeinerung ab. Der Ausgleich zwischen den Kassen sollte nach Alter, Geschlecht, Wohnort und Einkommen – es ist bekannt, dass ärmere Menschen kränker sind! – erfolgen. Zusätzlich sollten aus einem Risikofonds Behandlungskosten von Patientinnen mit erheblichen Behandlungskosten kostendeckend finanziert werden.
Beide Prinzipien, die Solidarität und die Parität, wurden in den vergangenen Jahren durch die Regierungen der sozialdemokratisch-grünen als auch durch die christ- und freidemokratischen Koalitionen zunehmend ausgehöhlt. Die Patientinnen, nicht die Versicherten werden im Krankheitsfalle durch Praxisgebühr, die inzwischen abgeschafft wurde, und Zuzahlungen belastet, die Arbeitgeberinnenbeiträge wurden auf ein festes Niveau eingefroren, d.h. alle zukünftigen Steigerungen der Versicherungskosten werden einseitig von den Versicherten getragen.
Die Krankenkassen sollen von solidarischen, öffentlich-rechtlichen Einrichtungen zu privaten, profitorientierten Unternehmen – zu Profitcentern – umgebaut werden. Der vdää fordert die Rückkehr zu Solidarität und Parität, Abschaffung aller Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen für die Versicherten bzw. Patientinnen sowie die Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeberinnen.
Beitragsgrundlage und Bemessungsgrenze
Der Anteil der Zins-, Kapital- und Mieteinkünfte nimmt im Verhältnis zu den arbeitsabhängigen Einkommen gesellschaftlich zu. Deshalb ist eine Einbeziehung dieser Einkünfte – unter Berücksichtigung eines Freibetrags – zur Finanzierung der GKV zu begrüßen. Nur dürfte eine solche Einbeziehung nicht an eine Einkommensgrenze gebunden sein, denn dann würden Menschen in unteren Einkommensgruppen, die Miet- oder Zinseinkünfte haben, belastet, während eine Eigentümerin mit höheren Einkünften aus mehrerer Immobilien wegen der Beitragsbemessungsgrenze ungeschoren davon käme.
Die Einbeziehung von Mieteinnahmen in die Finanzierung der GKV stellt allerdings einen großen organisatorischen Aufwand dar. Die Krankenkassen dürfen nicht zu einer zweiten Steuerbehörde werden. Eine generelle Gesundheitsabgabe auf Kapitalerträge zusätzlich zur Abgeltungssteuer und mit ihr eingezogen ist dagegen ohne großen Aufwand zu organisieren.
Bedarfsorientierte Versorgung
Die Anzahl der gesetzlichen Krankenkassen von heute ca. 150 kann sicher noch weiter reduziert werden, doch ist eine gewisse Kassenvielfalt wichtig und eine Monopolstellung einiger weniger Kassen nicht wünschenswert. Alle Kassen sollen im Prinzip den gleichen Leistungskatalog anbieten. In den letzten Jahren aber wird dieser Grundsatz zunehmend durch so genannte Selektivverträge und Ausweitung der Satzungsleistungen untergraben. Bei den Selektivverträgen rechnen Ärztinnen unter Umgehung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) bestimmte Leistungen von Patientinnen, die in diese Verträge eingeschrieben sind, direkt mit den Kassen oder über Berufsverbände ab. Dies führt zu einem unterschiedlichen Leistungsangebot der Krankenkassen und für Patientinnen, die in die Verträge eingeschrieben sind, und diejenigen, die nicht an den Programmen teilnehmen. Gleichzeitig wird die Abrechnung insgesamt mit verschiedenen Kassen und Verträgen verkompliziert und bürokratisiert. Der vdää lehnt Selektivverträge in der Grundversorgung ab und fordert ein einheitliches Leistungsangebot der Krankenkassen.
Der vdää tritt für eine bedarfsorientierte Versorgung ein und lehnt die ausschließlich an den Einnahmen der Kassen orientierte Erstattung medizinischer Leistungen ab. Der Leistungskatalog der Kassen und die von Krankenhäusern und Kassenärztinnen erbrachten Leistungen sollten soweit wie möglich auf Evidenz basierter Grundlage überprüft werden. Die Einrichtung des Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) und Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) ist zu begrüßen. Ihre Kompetenz muss weiter ausgebaut werden. Diese Einrichtungen müssen den Leistungskatalog der GKV überprüfen. Dabei sollte die im Sozialgesetzbuch geforderte ausreichende Behandlung auch die optimale Behandlung für die Versicherten darstellen.
Finanzierung und die Debatte über Priorisierung
Die weitere Finanzierung des Gesundheitswesens steht schon seit Jahren im Zentrum der Diskussion. Der vdää ist prinzipiell der Ansicht, dass die Mittel im deutschen Gesundheitswesen, welches weltweit eines der kostspieligsten ist, ausreichend für eine gute medizinische Versorgung sind. Auch wenn dieses System so teuer ist, gibt es keine epidemiologischen Hinweise darauf, dass es besser und qualitativ hochwertiger ist als andere Gesundheitssysteme der OECD-Staaten.
Obwohl in vielen Bereichen eine Unterversorgung gegeben ist, werden generell zu viele medizinische Leistungen erbracht. Ausdrücklich lehnt der vdää die von der Bundesärztekammer angestoßene Debatte um eine »Priorisierung medizinischer Leistungen« ab. Sie ist lediglich ein ideologischer Vorwand, um notwendige medizinische Leistungen zu rationieren, sie aus dem gesetzlichen Leistungskatalog der Krankenkassen auszugliedern und privat vermarkten zu können. Das System der GKV hat ausreichend Mittel, alle notwendigen und medizinisch indizierten Leistungen zu finanzieren.
Leider werden in dem System noch viele unnütze und überflüssige Leistungen erbracht und finanziert. Außerhalb des gesetzlichen Leistungskatalogs sollte es keine notwendigen Leistungen geben. Der vdää lehnt die so genannten IGeL (Individuelle Gesundheitsleistungen) ab. Das Portemonnaie der Patientinnen hat im Behandlungszimmer nichts zu suchen. Die Praxis ist kein Krämerladen. Inzwischen werden auf dem IGeL-Markt zwei Milliarden Euro ohne jegliche Kontrolle und Qualitätssicherung umgesetzt. Der vdää tritt für ein Verbot von IGe-Leistungen in der Kassenpraxis ein.
Bürgerinnenversicherung
Der vdää tritt für eine sinnvolle Ausgabenbegrenzung im Gesundheitswesen ein. Zur kurzfristigen Verbesserung der Finanzsituation fordert der vdää eine Angleichung der Beitragsbemessungs- an die Versicherungspflichtgrenze. Gleichzeitig sollte die Versicherungspflichtgrenze deutlich erhöht werden. Langfristig fordert der vdää die Einführung einer Bürgerversicherung. Diese wäre eine Pflichtversicherung für alle Bürgerinnen, deren Beitrag entsprechend ihren Einkünften bemessen wird. Eine Beitragsbemessungsgrenze darf es dabei nicht geben. Diese Versicherung wird umlagefinanziert und ihre Finanzierung beruht nicht auf Kapitaldeckung.
Auch wenn sich private Versicherungen an einem solchen Versicherungsmodell beteiligen würden, so würde es doch eine PKV, wie wir sie heute haben, nicht mehr geben. Eine private Krankenversicherung mit risikoabhängigen Beiträgen als Grundversorgung lehnt der vdää ab. Sie ist Ausdruck einer Zweiklassenmedizin, in der die medizinische Versorgung abhängig von der Höhe des zu zahlenden Honorars ist. Leistungen in der PKV müssen nicht auf evidenz-basierter Grundlage erfolgen und unterliegen keiner Qualitätssicherung oder -kontrolle. Die horrenden Beitragssteigerungen in der PKV während der letzten Jahre und der hohe Anteil an Verwaltungs-(= Bürokratie)kosten zeigen aber auch, dass diese Art der Versicherung der gesetzlichen, umlagefinanzierten organisatorisch unterlegen ist.
(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Von der Solidarität zur Betriebswirtschaft, 3/2016)