GbP 2-2016 Christiane Fischer

Wes Brot ich ess’

Christiane Fischer zum alltäglichen Lobbyismus in der ärztlichen Praxis

Christiane Fischer, Ärztin und Geschäftsführerin von MEZIS erläutert die unterschiedlichen Formen der Einflussnahmeversuche der Pharmaindustrie in Praxen und Krankenhäusern.

Lobbyismus in der ärztlichen Praxis ist alltäglich und durchdringt sämtliche Bereiche unseres Berufes. Werbung für meist neue und teure, aber nicht bessere Medikamente ersetzt seriöse unabhängige Information. Geld, geldwerte Leistungen, Honorare für Anwendungsbeobachtungen sowie massiv überhöhte ReferentInnenhonorare, »Passiveinladungen« (bezahlte Fortbildungs- und Reisekosten für TeilnehmerInnen) Geschenke, Essen und guter Wein beeinflussen ärztliches Verschreibungsverhalten(1) hin zu teureren scheininnovativen Produkten, die PatientInnen nicht mehr nutzen als das rationale Vorgängerpräparat, manchmal sogar schaden. Von den knapp 1600 neuen chemischen Stoffen, die zwischen 1974 und 2004 weltweit auf den Markt kamen, boten nur 10 Prozent einen therapeutischen klinischen Fortschritt, weitere 15 Prozent vielleicht, die restlichen 75 Prozent waren im besten Fall nutzlose überteuerte Scheininnovationen(2). Den finanziellen Nutzen an der vermehrten Verordnung haben allein die Unternehmen. Durch geschickte Werbung sind die verschreibenden ÄrztInnen oft vom Produkt, für dessen Überlegenheit es keinen wissenschaftlichen Beleg gibt überzeugt. Denn es gilt: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing...

Interessenkonflikte in der Praxis

Ein zentraler Grund für schädliches Verordnungsverhalten sind Interessenkonflikte(3): »Risikosituation, in der die professionelle Urteilsfähigkeit im Hinblick auf primäre Interessen (z.B. Sorge um das PatientInnenwohl), durch sekundäre Interessen (z.B. finanzielle Interessen) unangemessen beeinflusst zu werden droht«(4). Interessenkonflikte in der ärztlichen Praxis treten besonders oft auf bei folgenden Versuchen der Einflussnahme:

Einfluss durch PharmavertreterInnen: Jedes Jahr besuchen 15 000 PharmavertreterInnen 20 Millionen Mal Arztpraxen und Krankenhäuser. Scheininnovative Arzneimittel ohne Beleg für einen Zusatznutzen werden durch Scheininformation, Geschenke, Muster oder Anwendungsbeobachtungen beworben, das ärztliche Verordnungsverhalten wird nachhaltig beeinflusst: Ein Beispiel ist das Kombinationspräparat Ezetimib und Simvastatin (Inegy®). Wie Kasetelein aufzeigt, bietet das Kombinationspräparat weniger Sicherheit als Simvastatatin allein, es fehlen nicht nur Endpunktstudien mit positivem Ausgang. 

Zwischen 2004 und 2008 gab es mehr Meldungen zu Unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW), es traten mehr Karzinome und Gallenblasenerkrankungen auf und laut MSD-Fachinformation erfolgt durch die Therapie keine Senkung der Mortalität und Morbidität (Herzinfarkt und Apoplex) im Vergleich zu Simvastatin alleine.(5)
Der Preisunterschied ist allerdings gravierend. Während 100 Tabletten Inegy® 224,65 I kosten, sind 100 Tabletten generisches Simvastatin (20 mg) für 16,26 I erhältlich. Die Scheininnovation kostet also das 14-fache zu Lasten der GKV. Da »ältere« noch patentgeschützte Präparate durch das Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) nicht geprüft werden, können Unternehmen bis zum Ablauf des 20-jährigen Patentschutzes jeden Phantasiepreis verlangen. Jane Williams beschreibt in ihrem Ausbildungsbuch für PharmavertreterInnen eine wichtige Ursache. Die Frage »How would you describe ›selling‹ ?«, beantwortet sie mit dem aufschlussreichen Satz: »Selling is persuading someone to agree with you and to buy whatever your product happens to be.«  (6)

Einfluss auf ärztliche Fortbildungen: Die Unternehmen sponsern nach unserer Schätzung ca. 80 Prozent der ärztlichen Fortbildungen. Sie sorgen so für die »richtigen« Themen. Vortragende werden mit oft überzogenen Honoraren bezahlt und gleich noch mit den »richtigen« Präsentationen bestückt.
Beim diesjährigen Jahrestreffen der ÄrztInneninitiative MEZIS am 8. und 9. April 2016 in Hamm wurde auch ein System zur Erfassung von Verstößen bei Fortbildungen vorgestellt.(7) Regelmäßig wird bei Fortbildungsveranstaltungen gegen die Forderung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit nach Berufsordnung und SGB V verstoßen. Mit dem Online-Verstoßmelder (zu finden auf unserer Homepage unter: https://www.mezis.de/mezis-melder-2-0/) kann jeder Kollege und jede Kollegin der zuständigen Landesärztekammer Zuwiderhandlungen gegen die geltenden Regelungen melden. MEZIS will damit die Landesärztekammern für mangelnde Transparenz von Interessenkonflikten und die teilweise gravierend einseitigen Fortbildungsinhalte bei gesponserten Veranstaltungen sensibilisieren.

Einfluss auf medizinische Studien: Pharmaunternehmen üben auch Einfluss auf alle Phasen medizinischer Studien aus. Studien, die im Auftrag der pharmazeutischen Industrie durchgeführt werden, werden oft gar nicht oder nicht vollständig veröffentlicht. Führt eine Pharmafirma eine Studie selbst durch, muss sie diese in der Datenbank der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA(8) melden. Jedoch gilt dies nicht für eine Studie, die durch eine Contract Research Organisation (CRO) durchgeführt wird. Die gezielte Auslagerung von Studien in CROs oft in Schwellenländer macht es schwierig bis unmöglich, die Studien aufzufinden. Auch Planung und Auswertung geschehen nicht selten im Sinne eines erwünschten Ergebnisses durch die Firma. So sind Design, Studiendurchführung (Datenerhebung, Auswertung) Publikation, sowie Patent oft in Händen des Pharmaunternehmens.

Ein besonders gravierendes Problem sind »Anwendungsbeobachtungen« (AWBs), die von Pharmafirmen durchgeführt werden. Dies sind in der Regel Marketing-Instrumente zur Erhöhung der Umsätze bestimmter (meist hochpreisiger) Medikamente, aber keine Studien mit wissenschaftlicher Aussagekraft.

Einfluss auf Behandlungsleitlinien: ÄrztInnen benötigen Leitlinien, um ihre PatientInnen nach der besten wissenschaftlichen Evidenz zu behandeln. Daher dürfen diese nicht von den kommerziellen Motiven der Arzneimittelfirmen beeinflusst werden. Doch leider ist das Gegenteil oft der Fall: Ärztliche AutorInnen sind nicht selten durch BeraterInnenverträge, Vortragshonorare und Industriefinanzierte Studien mit der Industrie verflochten. Mit anderen Worten, sie haben bedeutende Interessenkonflikte. Diese Auswirkungen sind zum Schaden der PatientInnen wie ein Beispiel illustriert: 17 Fachgesellschaften unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie haben eine neue Behandlungsleitlinie veröffentlicht mit dem Ziel, das Risiko eines wiederholten Schlaganfalls zu reduzieren. Doch in den Leitlinien finden sich hochproblematische Empfehlungen, wie etablierte Vitamin K Antagonisten durch neue Gerinnungshemmer (NOAKs) zu ersetzen. Dagegen wehrten sich in einem Appell über 1000 ÄrztInnen, mehrheitlich NeurologInnen. NeurologyFirst gründete sich daraufhin als Initiative deutscher NeurologInnen für pharmaunabhängige Kongresse und Leitlinien.(9) Außerdem entstand 2015 www.leitlinienwatch.de als gemeinsames Trans­parenzportal für medizinische Behandlungsleitlinien von MEZIS, NeurologyFirst und TI Deutschland.
Transparenz, also auch Offenlegen von Interessenkonflikten ist der erste wichtige Schritt, doch Transparenz alleine genügt nicht, im Folgeschritt müssen Interessenkonflikte bekämpft werden. Eine wichtige Forderung ist: Wer für einen Hersteller arbeitet, kann nicht dessen Produkte in einer Leitlinie bewerten.

Fazit

Nur fünf Prozent der ÄrztInnen halten sich selbst für bestechlich, 21 Prozent dagegen ihre KollegInnen.(10) Doch wirken die beschriebenen Werbemaßnahmen des alltäglichen Lobbyismus und zahlen sich für in Industrie in barer Münze aus: Sie sorgen dafür, dass Pseudoinnovationen ohne therapeutischen Fortschritt verordnet werden. Eine Mischung aus Scheininformationen durch PharmavertreterInnen in Praxen und Kliniken gepaart mit Werbung auf gesponserten Kongressen lässt die Grenzen zwischen Werbung und Information mehr und mehr verschwimmen. Werbung und Information müssen klar unterschieden werden. Denn wie Claudill u.a. klar aufzeigen, führt der Gebrauch von »Informationen« der PharmavertreterInnen zu deutlich erhöhten Verschreibekosten(11). Der Grund ist simpel: Pharmaunternehmen sind Wirtschaftsunternehmen, die gewinnorientiert agieren, das primäre Interesse der Industrie ist Gewinnmaximierung und nicht das Wohl der PatientInnen.

MEZIS setzt dagegen

Doch es gibt Alternativen wie die Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte MEZIS e.V. »Mein Essen zahl’ ich selbst«:

• MEZIS wehrt sich gegen die allgegenwärtigen Beeinflussungen der Pharmaindustrie.
• MEZIS sensibilisiert ärztliche KollegInnen und Medizinstudierende: Wer sich Kulis, Essen, Studien, Reisespesen und Anwendungsbeobachtungen finanzieren lässt, wird in seinem Verschreibungsverhalten beeinflussbar.
• MEZIS fordert ein klares Verbot von Beeinflussungen und Bestechlichkeit im ärztlichen Berufsrecht.
• MEZIS engagiert sich für herstellerunabhängige Informationen und Fortbildungen sowie werbefreie Praxissoftware.
• MEZIS ist Teil des weltweiten No-free-lunch-Netzwerks.

Weitere Informationen gibt es auf www.mezis.de.

Dr. med. Christiane Fischer

MPH ist Ärztliche Geschäftsführerinvon MEZIS e.V. –

Mein Essen zahl ich selbst, Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte und Mitglied des Deutschen Ethikrates

Anmerkungen:

1 Adair RF, Holmgren LR.: »Do drug samples influence resident prescribing behavior? A randomized trial«, Am J Med. 2005 Aug; 118 (8): 881-884
2 Chirac P, Torreele E: »Global framework on essential health R&D«, in Lancet 2006 May 13; 367 (9522): 1560–1561
3 Campbell EG: »Public Disclosure of Conflicts of Interest«, JAMA Archives of Int Med, 2010; 170 (8): 667
4 Dennis F, Thompson: »Harvard Center for Ethics and the Profession«, NEJM, 1993
5 Kastelein et al: »Simvastatin with or without Ezitimibe in Familial Hypercholesterinemia«, NEJM (2008) 358 (14): 1431–1443
6 Williams J.: »Insiders Guide to the World of Pharmaceutical Sales«, 9th ed., Principle Publications, USA 2008., S. 88
7 www.mezis.de/mezis-melder-2-0/
8 https://clinicaltrials.gov/ und www.who.int/ictrp/en/
9 www.neurologyfirst.de
10 Lieb K, Brandtönies S: »Eine Befragung 300 niedergelassener Fachärzte zum Umgang mit Vertreterbesuchen der Pharmazeutischen Industrie«, DÄ Heft 22, 04.06.2010
11 Caudill TS, Johnson MS, Rich EC, McKinney WP: »Physicians, pharmaceutical sales representatives, and the cost of prescribing«, Arch of Fam Med. 1996; 5: 201-6

 

(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Lobbyismus im Gesundheitswesen, 2/2016)


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