GbP 2-2016 Christina Deckwirth

Nicht Austausch, sondern Machtungleichgewicht

Christina Deckwirth über Lobbyismus im Gesundheitswesen

Christina Deckwirth von LobbyControl erklärt uns grundsätzliches über Lobbyismus. LobbyControl ist ein gemeinnütziger Verein, der über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU aufklären will und sich einsetzt für Transparenz, eine demokratische Kontrolle und klare Schranken der Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit.

Im Gesundheitswesen gibt es viel Geld zu verdienen, aber auch zu verteilen. Die Gesundheitsausgaben summierten sich im Jahr 2014 auf 328 Mrd. Euro, was gut elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes entspricht. Wer von diesem Geld wie viel abbekommt, hängt auch von politischen Entscheidungen ab. 

Deswegen haben sich in Berlin zahlreiche Lobbyisten aus dem Gesundheitssektor angesiedelt. Doch nicht alle Interessen können sich gleichermaßen gegenüber der Politik durchsetzen. In den Auseinandersetzungen um Kostendämpfungen von Medikamenten oder Zulassungsvorschriften für Medizinprodukte geraten dabei die Interessen der schwächsten Personen im Gesundheitssektor, der Kranken, zuweilen unter die Räder.

Verbände, Unternehmen und Agenturen

Lobbyismus bezeichnet die Einflussnahme verschiedener Interessengruppen auf politische Entscheidungsprozesse. Ziel von Lobbyarbeit ist es, Gesetzesinitiativen im Interesse der eigenen Klientel zu verändern, zu verhindern oder selbst in die Wege zu leiten. Zu den Methoden zählen klassischerweise Hinterzimmergespräche, Einladungen, das Verfassen von Stellungnahmen bis hin zu Gesetzesentwürfen. Adressaten sind sowohl Ministerien als auch der Bundestag.

Zu den einflussreichen Verbänden im Gesundheitssektor zählen etwa der "Marburger Bund" für die KrankenhausärztInnen, der "Verband der forschenden Arzneimittelhersteller" (VfA) für die Pharmaunternehmen, "ABDA" für die ApothekerIInnen, der "Verband der Privaten Krankenversicherungen" (PKV) oder der "Bundesverband Medizintechnologie" (BVMed).

Letzterer organisierte beispielsweise gemeinsam mit anderen europäischen Branchenverbänden eine großangelegte Kampagne gegen eine europäische Richtlinie für strengere Sicherheitsvorschriften für die Zulassung von Medizinprodukten. Die Richtlinie, die insbesondere nach dem Skandal um gesundheitsgefährdende Brustimplantate die PatientIInnen schützen sollte, brandmarkte der Verband als bürokratisch und innovationsfeindlich. Solches Umdeuten – meist noch verbunden mit Horrorwarnungen vor Arbeitsplatzverlusten – wird regelmäßig von Wirtschaftsverbänden eingesetzt, um Regulierungen im Interesse der VerbraucherInnen abzuwehren.

Neben der klassischen Interessenvertretung durch Verbände mischen auch zahlreiche Unternehmen direkt im Berliner Lobbygeschäft mit. Viele große Pharma- und Medizinprodukteunternehmen haben eigene Lobbyrepräsentanzen in der Hauptstadt, denn räumliche Nähe spielt auch in Zeiten des Internets im politischen Berlin noch immer eine große Rolle. So gleicht die Hauptstadtrepräsentanz des Orthopädie-Unternehmens Otto Bock in ihrer Größe und Imposanz einem Botschaftsgebäude. In bester Lage haben sich auch die Pharmariesen Pfizer am Potsdamer Platz oder GlaxoSmithKline Unter den Linden angesiedelt.

Möglicherweise profitierte GlaxoSmithKline von seiner Nähe zur Politik, als die Bundesregierung vor einigen Jahren aus Sorge vor einer Schweinegrippe-Epidemie Millionen Impfdosen bestellte. Der Großteil des Impfstoffes musste allerdings vernichtet werden, nachdem die Grippewelle nicht annähernd so schlimm verlief wie erwartet – ein Millionenschaden für den öffentlichen Haushalt. Interessanterweise saßen in den Gremien, die die Notfallpläne für Epidemien ausarbeiten, zahlreiche Experten mit engen Geschäftsbeziehungen zu Pharmafirmen wie GlaxoSmith­Kline…

Auch Agenturen als Lobbydienstleister sind in der Hauptstadt im Bereich Gesundheit aktiv. Die Geschichte der PR- und Lobbyagentur Hill & Knowlton etwa ist eng mit der Tabakindustrie verbunden – Gründer John Hill war schon in den 1950er Jahren daran beteiligt, Zweifel an den Gesundheitsschäden des Rauchens zu sähen. Heute profitiert Hill&Knowlton von den Folgeschäden des Tabakkonsums: Die Agentur war im Auftrag des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim daran beteiligt, ein Medikament gegen Raucherhusten bei Kostenträgern, Verordnern und PatientInnen zu bewerben.

Enge Verbindungen zu SpitzenpolitikerInnen: Seitenwechsel und Nebentätigkeiten

Besonders eng sind die Verbindungen zwischen Politik und Gesundheitslobby, wenn Ex-PolitikerInnen im eigenen Verband oder Unternehmen angestellt sind und gar LobbyistInnen im Bundestag sitzen. So zum Beispiel Rudolf Henke: Als der CDU-Politiker 2009 in den Bun­destag gewählt wurde, behielt er seinen Posten als Vorsitzender des Marburger Bunds bei. Durch weitere bezahlte Nebentätigkeiten – etwa in der Ärztekammer Nordrhein – kommt der Parlamentarier auf einen stattlichen Zuverdienst zwischen 150 .000 und 300 .000 Euro pro Jahr. Ob Henke in seiner Funktion im Gesundheitsausschuss tatsächlich unabhängig die verschiedenen Interessen im Gesundheitsbereich im Sinne des Gemeinwohls aushandeln kann, erscheint angesichts seiner Lobbyjobs fragwürdig. Solche Doppelrollen gefährden die Unabhängigkeit politischer Entscheidungsträger.

Ähnlich problematisch ist die Drehtür zwischen Politik und Gesundheitslobby. So arbeitet der frühere Gesundheitsminister Daniel Bahr heute für die Allianz Private Krankenversicherung. Die Geschäftsführerin des VfA, Birgit Fischer, war vor ihrer Lobbytätigkeit Gesundheitsministerin in Nordrhein-Westfalen und Mitglied des SPD-Präsidiums. In solchen Fällen kaufen sich Lobbyverbände und Unternehmen das Insiderwissen früherer EntscheidungsträgerInnen ein. Ihre Neuzugänge verfügen über gute Kontakte zu ihren ehemaligen PolitikerkollegInnen und kennen Abläufe, Vorlieben und Empfindlichkeiten aus eigener Erfahrung. Doch nicht jeder kann sich einen scheidenden Politiker anheuern. Es sind vor allem finanzstarke Akteure mit prestigeträchtigen und gut bezahlten Jobs, die von den Seitenwechslern profitieren. Machtstrukturen werden so verfestigt.

Indirektes Lobbying: Imagewerbung, um Kostendämpfung zu verhindern

Lobbyismus – im Gegensatz zu Produktwerbung und Marketing – zielt darauf ab, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Daher sind politische Entscheidungsträger der wichtigste Adressat von Lobbyarbeit. Neben der direkten Lobbyarbeit, die sich unmittelbar an Politik und Verwaltung richtet, hat die indirekte Lobbyarbeit eine breitere Zielgruppe.

Hier wird über Bande – das heißt über die breite Öffentlichkeit, die Medien, die Wissenschaft oder auch ÄrztInnen und PatientInnen – Einfluss genommen. Mit Imagekampagnen mit eingängigen Slogans, Schulungsmaterialien oder gut aufbereiteten Studien wird Meinungsmache betrieben, die indirekt auch PolitikerInnen erreichen soll. Schließlich kann ein gutes Image oder ein eingängiger Slogan dienlich sein, um die eigenen Interessen in der Politik durchsetzen zu können.

Der VfA wurde durch seine millionenschwere und mehrjährige Imagekampagne »Forschung ist die beste Medizin« bekannt. Der große Aufwand für Öffentlichkeitsarbeit mag auf den ersten Blick verwundern, denn ein wirklich innovatives Medikament sollte sich von allein verkaufen. Doch eine echte Innovation ist im Arzneimittelsektor relativ selten und schwer planbar. Darum sehen sich die Hersteller dazu gezwungen, kleine Fortschritte zum großen Durchbruch zu stilisieren und Scheininnovationen auf den Markt zu bringen, die gegenüber herkömmlichen Präparaten keinen nennenswerten Vorteil bieten, oft aber wesentlich teurer sind. Weil das nur mit massivem Werbeaufwand funktioniert, geben die Pharmakonzerne regelmäßig mehr Geld für Marketing aus als für Forschung.

Bei neuen verschreibungspflichtigen Medikamenten ist den Herstellern wegen der geltenden Werbe­beschränkungen der übliche Weg der Publikumswerbung versperrt. Sie nutzen daher verschiedene Schleichpfade, um ihre Verkaufsziele zu erreichen: Einer führt über die Förderung von Patienteninitiativen zu Marketingzwecken, ein anderer über die mehr oder weniger subtile Bestechung niedergelassener ÄrztInnen. Im engeren Sinne politisch werden solche Imagekampagnen, wenn auch gesetzgeberische Pläne zur Kostendämpfung bei Medikamenten abgewehrt oder zumindest verwässert werden. So erreichte es die Pharmalobby, bei der Aushandlung des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) eine Regelung zu streichen, nach der auch bereits zugelassene Medikamente einer Nutzenbewertung unterzogen werden sollten.

Lobbyismus braucht Regeln

Politische Interessenvertretung ist weder schlecht noch gut, sondern unabdingbar für demokratische politische Entscheidungsprozesse.

Doch gilt es, genau hinzuschauen. LobbyistInnen reden gerne davon, Lobbyarbeit sei vor allem der Austausch von Informationen. Das klingt harmlos und verstellt den Blick auf problematische personelle und finanzielle Verflechtungen zwischen Politik und Lobby und den Kampf um Zugänge zu politischen EntscheiderInnen und Informationen.

Die Rede vom Lobbyismus als reinem Informationsaustausch verschweigt ein zentrales Problem: das massive Machtungleichgewicht. Die strukturelle Ungleichheit der Gesellschaft spiegelt sich in der Lobbyszene: Es sind die ohnehin ökonomisch Starken und politisch Einflussreichen – wie etwa die großen Pharmakonzerne und deren Verbände –, die systematisch von Verflechtungen, Vorzugsbehandlungen und privilegierten Zugängen in die Politik oder von teuren Anzeigenkampagnen profitieren und damit ihre Position weiter stärken.

Schwächere Interessengruppen wie Verbraucherinitiativen, kleinere Ärzteverbände oder selbst Gewerkschaften haben es schwerer, im politischen Geschäft mit ihren Anliegen durchzudringen. Deswegen brauchen wir klare Regeln für Lobbyismus – und zwar nicht nur im Gesundheitswesen. Ein verbindliches Lobbyregister, das Lobbyeinflüsse zumindest sichtbarer macht, ist ein erster Schritt in diese Richtung.

Mehr zum Thema:

LobbyControl: »LobbyPlanet Berlin. Der Reiseführer durch den Lobbydschungel«, 324 Seiten, Mit einer speziellen Tour zur Gesundheitslobby; mehr unter: www.lobbycontrol.de/lobbyplanet-berlin

 

Christina Deckwirth

Jahrgang 1978, ist promovierte Politikwissenschaftlerin, Mitarbeiterin im Berliner Büro von LobbyControl und Hauptautorin des LobbyPlanet Berlin

 

(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Lobbyismus im Gesundheitswesen, 2/2016)

 


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Gesundheit braucht Politik wird vom ärztlichen Berufsverband vdää herausgegeben, der sich als Alternative zu standespolitisch wirkenden Ärzteverbänden versteht.

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