»Einträgliche Geschäfte in der Vorhalle«
Am 10. Juni lehnte es der Bundestag mit den Stimmen der Regierungskoalition erneut ab, für seinen eigenen Bereich ein verpflichtendes öffentliches Lobbyregister einzuführen. Es sollte Namen, Kontaktdaten, Auftraggeber und -ziel sowie Angaben zur finanziellen Ausstattung der LobbyistInnen enthalten. Damit wurde der Öffentlichkeit zum wiederholten Male ein bescheidener Einblick in die im Bundestag wirkenden Lobbyeinflüsse verwehrt. Auch dies ist ein Grund mehr, sich mit dem Thema Lobbyismus im Gesundheitswesen zu beschäftigen, wie dies ausdrücklich von den LeserInnen unserer Zeitschrift gewünscht wurde.
Wertfrei betrachtet ist Lobbyismus der Versuch, politische Entscheidungen und insbesondere Gesetzgebungsverfahren zu beeinflussen. InteressensvertreterInnen unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppierungen können dabei versuchen, mit Argumenten und Sachinformationen auf politische Prozesse Einfluss zu nehmen. Ein Vorgehen das in unserer komplexen und differenzierten Gesellschaft ein sinnvoller Beitrag zur Meinungsbildung sein kann.
Problematisch wird es, wenn sich Konzerne oder Wirtschaftsverbände – den öffentlichen Raum meidend – Geltung verschaffen und Druck ausüben und so ihre machtvollen Eigeninteressen durchzusetzen versuchen. Dies wirkt umso mächtiger, je früher dies im politischen Prozess geschieht; am besten dann, wenn ein Vorhaben noch nicht in die Öffentlichkeit gedrungen ist. Hochprofessionell wird dabei versucht, »seine Leute« unmittelbar in den Bereich des legislativen Prozesses zu platzieren. Lobbyismus geriert sich dann als ein Transmissionsriemen von Konzerninteressen.
Die Rede von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz auf der Eröffnungsveranstaltung des diesjährigen Deutschen Ärztetages in Hamburg gab ein schönes Beispiel dafür ab, wie man Gesundheitswesen als Gesundheitswirtschaft deklinieren kann. Traditionell sind bei der Gestaltung des Gesundheitswesens viele Lobbyisten unterwegs. In der Gesundheitswirtschaft wird dies wohl kaum abnehmen.
Apropos Ärztetag: Wulf Dietrich berichtet vom Tanz der Delegierten um die Neufassung der GOÄ. Aber auch das Thema Lobbyismus war bei diesem Treffen präsent. Die Cheflobbyistin der pharmazeutischen Industrie in Deutschland, Birgit Fischer (ehemals SPD-Präsidium, ehemals Sozialministerin NRW) konnte allerdings in der Diskussion um Pharmapreise gegenüber Prof. Ludwig, Vorsitzender der Arzneikommission der Deutschen Ärzteschaft, in keiner Weise bestehen.
Zahlreiche Akteure sind auf dem Feld des Lobbyismus im Gesundheitswesen aktiv. Allen voran natürlich die Pharma- und Medizingeräteindustrie. Neben Ärzteverbänden spielen insbesondere auch (private) Krankenkassen und private Krankenhausketten eine Rolle. Christina Deckwirth von LobbyControl gibt einen Überblick über die Einflussstrategien und Machstrukturen der verschiedenen Lobbyisten. David Lundy von der lobbykritischen Organisation Coporate Europe Oberservatory (CEO) beschreibt die Lobbyszene in Brüssel und zeigt auf, dass das Thema verpflichtendes Lobbyregister auch auf der EU-Ebene aktuell ist. Besonders anschaulich, wie Lobbyinteressen langfristig international und national wirken, kann an der Umdefinition der Osteoporose zur Volkskrankheit demonstriert werden. Wir haben daher einen älteren Beitrag von Winfried Beck aus dem Jurassic Parc geholt.
Die Ärzteschaft ist vielfältigen Manipulationsversuchen der Pharmaindustrie ausgesetzt, steht diesen in großen Teilen unkritisch gegenüber bzw. beteiligt sich aktiv daran. Christiane Fischer (MEZIS) gibt einen Überblick über die tägliche Einflussnahme der Pharmaindustrie auf das ärztliche Tun. Markus Grill vom investigativen Internetportal correctiv.org wirft einen vertiefenden Blick auf die Anwendungsbeobachtungen. Spiegelbildlich dazu wird in einem weiteren Beitrag dargestellt, wie die ärztliche Berufsordnung Einflussnahme Dritter und Interessenskonflikte regelt. Günther Egidi stellt beispielhaft an der Entstehungsgeschichte der Versorgungsleitlinie Typ 2 Diabetes die unterschiedlichen Interessenslagen dar. In einem weiteren Beitrag gehen wir der Frage nach, ob der international viel gelobte »Physician Payment Sunshine Act« in den USA die Transparenz herstellt, die er verspricht.
Angelika Spelsberg widmet sich der Korruption als weiterer Strategie der Beeinflussung, insbesondere von Pharmafirmen. Sie stellt dar, wie sich ihrer Ansicht nach das Anliegen der Korruptionsbekämpfung im neuen Antikorruptionsgesetz im Gesundheitswesen durch Einfluss von Lobbyisten in das Gegenteil verkehrte.
Nachdem wir uns mit Konzern- und Verbändelobbyismus befasst haben, stellt sich auch die Frage: Kann es so etwas wie eine linke Lobby geben?
Vor 25 Jahren diskutierte insbesondere die internationalistische Linke sehr grundsätzlich, ob Strategien wie Lobbying und Advocacy brauchbar für eine emanzipatorische Strategie sind. Die Gegner führten ins Feld, dass solche Vorgehensweisen von den entscheidenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen fortführten. Die Befürworter sahen darin eine Möglichkeit, neue Handlungsspielräume zu eröffnen. Letztlich setzte sich häufig, auch begründet durch die Schwäche der Linken, die zweite pragmatischere Haltung durch. Vielleicht ist es jetzt auch an der Zeit, über neue Utopien von Gesundheit nachzudenken und entsprechende Praxen zu entwickeln. Claudia Krieg berichtet über die sehr gelungene Auftaktveranstaltung des GesundheitsKollektivs Berlin, das ein Kiezgesundheitszentrum entwickelt.
Aus dem Rahmen dieses Themenheftes fällt der Beitrag von Peter Hoffmann zum Referentenentwurf für ein neues Entgeltsystem in der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung. Nicht nur wegen der Aktualität ist er sehr lesenswert.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass dieses Heft in einer der Hotellobbys gelesen wird, die in der Zeitschrift abgebildet sind. Dennoch hofft die Redaktion, dass es – wo auch immer – gelesen wird. Besonders freuen würden wir uns, wenn die Schilderungen der manipulativen und Demokratie unterlaufenden Praktiken, Eure Empörung hervorrufen und vielleicht auch die eine oder andere widerständische Aktivität befördern würde.
Bernhard Winter
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Lobbyismus im Gesundheitswesen, 2/2016)